Blumenfresser
dieser Jablánczy, der dank seines glänzenden, unruhigen Geistes in seinem freien Leben vielerlei ausprobiert hatte, er war Priesterseminarist gewesen, dann Jurastudent, seine Professoren sagten ihm eine große Karriere voraus, schließlich wurde er Komitatssekretär und Viehdoktor, ja sogar Orientreisender, Frauen und Mädchen schwärmten für ihn, er war ein Liebling der Gesellschaft, auch er stieß nur noch zusammenhanglose Worte hervor, und wenn er nicht mit seinen eigenen Verrücktheiten beschäftigt war, las er mit lauter Stimmedie Heilige Schrift und teilte Segen aus. Im Winter ging er barfuß, unter seinem Hemd leuchtete der eingefallene Brustkorb hervor.
Die wahre Melancholie war nicht auffällig, doch der Spiegel des Auges verriet den Zustand seines Besitzers. Ein polnischer Leutnant, er hinkte, denn er war im Frühjahrsfeldzug ins Knie geschossen worden, hatte die Angewohnheit auszuspucken. Er spuckte immer nach hinten. Er hinkte drei Schritte und spuckte. Einmal traf er einen Wärter. Er wurde ohne ein Wort niedergeschlagen. Manche legten sich auf den Boden und standen auch dann nicht auf, wenn die Wärter sie mit Eiswasser abspritzten.
Mitunter verloren auch Imres Zimmergenossen den Verstand. Zwischen den ruhigen Männern brach ohne besonderen Anlass Hass aus. Plötzlich störte die Drehung der Häkelnadel, das Schaben des Schnitzmessers, das Kratzen der Feder, das Summen, das Rascheln der Buchseite. Zischend fielen sie übereinander her, ungerechte Beleidigungen schwirrten durch die Luft, anschließend schwiegen sie tagelang. Sie titulierten einander Verräter und Arschkriecher, später bereuten sie es vielleicht schon, doch niemals baten sie um Verzeihung und erwarteten auch keine. In ihrer freien Zeit bohrten und schnitzten sie, fertigten Armreifen an, feilten Knöpfe, fädelten Halsketten auf oder strickten Tücher oder Schals, wie sie es daheim bei den Frauen gesehen hatten. Hohe Persönlichkeiten lernten mit Nadel und Bohrer so gut umzugehen, dass es dem geschicktesten Zunftmeister zur Ehre gereicht hätte. Imre kaufte von einem seiner Kameraden einen Schal, es war kein besonderes Stück, aber ein Frauenschal und ein Geschenk, er schickte ihn Klara, nie erfuhr er, ob sie ihn bekommen hatte. Gegenstände, Gedanken und Klageworte traten den Weg nach Hause an, sie wussten nicht, ob sie dort ankamen. Oft wurde die Stille der Korridore und der Zimmer von erbosten Rufen und Gelärme gestört, die Aufseher durchsuchten alles, kippten ihre Kisten um, konfiszierten die Bücher, Schriftstücke und Schreibwerkzeuge. An einem Tag war es verboten, Geld aufzubewahren, am anderen übersahen dieWärter großzügig den aus dem Kissenüberzug hervorlugenden Beutel.
Doch wie sehr sie sich auch in die Arbeit und ihre fixen Ideen vergruben, Nachrichten der Außenwelt kamen doch an sie heran, wie Blutsauger an den menschlichen Körper. Das Gerücht drang zu ihnen, dass Sándor Petőfi lebe, viele ihn gesehen hätten und bezeugen würden, dass er sich auf entlegenen Gehöften versteckt halte oder dass die Russen ihn gefangen genommen und nach Sibirien verschleppt hätten, doch der Dichter sei geflohen und heimgekehrt und lebe in der Tiefebene, getarnt als Schneiderlehrling. Während eines Appells flüsterte jemand, Kossuth habe aus Widin einen Brief geschrieben, die Botschaft würde in Kopien verbreitet, und er bezeichne darin den Oberkommandierenden Görgey als Hauptverräter. Bei der Nennung des Namens Görgey spuckten viele aus. Die Hohe Pforte liefert Kossuth nicht dem Kaiser aus! Die Österreicher hatten einen gedungenen Mörder auf den Reichsverweser angesetzt, doch das Attentat konnte aufgedeckt werden! Kossuth hat den Ozean überquert und in New York Unterstützung für ein neues Kapitel der Revolution gefunden. In Siebenbürger werden bereits Freischärlerverbände aufgestellt! Im Januar zweiundfünfzig las ihnen der Gefängniskommandant eine kaiserliche Mitteilung über die Aufdeckung eines neuen Komplotts vor, es sei vom Artillerieoberst József Makk geschmiedet worden, der die Anweisung, die Rebellion zu schüren, direkt von Kossuth erhalten habe. Und ob es stimmte, dass Väterchen Bem zum islamischen Glauben übergetreten war? Als dreiundfünfzig der Krimkrieg ausbrach, ging das Gerücht, dass sie bald amnestiert würden, sogar die strengsten Aufseher wurden einige Wochen milde. Dann flüsterte jemand, in Wien sei der Kaiser erstochen worden. Franz Joseph war tot! Einen Tag lang hielt sich die Nachricht,
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