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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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die rauflustigen Zwillinge. Wenn sie sich in den Haaren lagen und einander bissen, sorgte der neue Woiwode für Ordnung. Er zischte, ihr Hunde, das ist Rebellion. Er zischte, er dulde keine Rebellion. An seinem Hals klimperte Gold, ein wenig sah er dem Goldenen Zigeuner ähnlich. Mitunter verspürten sie das unwiderstehliche Verlangen, sich erneut aufzumachen und aus dem Sicheren in das ferne Unsichere zu ziehen, wenn nur der Wagen unter ihnen klappern würde, ohne besonderes Ziel, allein aus Lust am Wandern, das zugleich Abenteuer und Freiheit war, letztendlich aber doch eher eine nie endende Flucht. Die Reibereien beunruhigten Gilagóg nicht, doch er gab dem neuen Woiwoden recht, auch er hätte, würde er zur Wanderschaft rufen hören, ohne zu überlegen zugeschlagen. Er wusste, dass sie nirgends ein anderes, besseres, saubereres Leben erwartete. Die Kälte würde auch anderswo Kälte sein, der Wind blies ihnen nicht nur hier den Staub ins Gesicht, und wenn sie ihr Lager woanders aufschlügen, würden sie auch dort hungern. Bis in den Himmel würden sie ihr Schicksal tragen, und die Engel hätten dann genug mit ihnen zu tun. Er wusste, dass er in dieser Stadt verscharrt würde. Mit dem Alter wurde er immer dünner und sehniger, sein von Narben glänzendes, runzeliges Gesicht ging, wie sein Schnurrbart, in die Länge, das Haar trug er als Zopf. Im Kummer aß er, wie die Mehrzahl der Menschen. Seine Tochter fehlte ihm so, dass er sich oft dabei ertappte, wie er mit den Zähnen knirschte und den Namen Somnakajs vor sich hin sprach. Seit Jahren hatte er sie nicht gesehen, sie war mit Peter Schön nach Wien durchgebrannt. Den hattensie gepflegt und für ihn gesorgt, als ihm eine Rauferei fast das Leben gekostet hätte, und dann nahm er Gilagóg die Tochter weg.
    In Winternächten legten sich die Zwillinge neben ihn, und er wärmte sie wie ein grummelnder Ofen. Sie benagten und bissen ihn, schnappten nach seinen dürren Brustwarzen, als hätte er Milch, draußen wirbelte der Schnee, der Wind pfiff durch die Ritzen, und diese Frösche keuchten neben ihm um die Wette. Gilagóg warf sich von einer Seite auf die andere, dann stieß er ein Gebrüll aus, dass auf dem Dach ein Schilfbündel verrutschte. Die Bälger verstummten und gaben bis zum Morgen keinen Mucks von sich.
    Es war Mai, das Wetter wurde milder, die Blutsauger erwachten zum Leben, das Gras gewann an Geschmack, der Klatschmohn verströmte sein Blut, blaue Kuhschellen sangen, die Zugvögel kehrten zurück, auf einer nahen Robinie nistete ein Storch. Die Theiß wollte die Stadt überfluten, später beruhigte sie sich und ging zurück. Der königliche Besuch von Franz Joseph wurde verschoben und dann wieder aufs Programm gesetzt. Auch die Zigeuner wussten das, groß war die Betriebsamkeit in der Stadt, mit Anstreichen, Bauen und Straßenpflastern, auch für sie fiel mehr an Trödel und Überresten ab, ihre Häuser waren von Müllbergen umgeben, die Hunde rauften sich um ihre Beute.
    Eines Morgens erhielt er die Nachricht, dass Doktor Schütz mit ihm sprechen wolle. Verwundert fragte sich Gilagóg, worum es sich wohl handeln mochte. In letzter Zeit hatten sie nichts miteinander zu tun gehabt.
    Der Alte war seit einigen Tagen blind. Er wollte das nicht zur Kenntnis nehmen, brach ohne Beistand zu seinem üblichen Nachmittagsspaziergang auf und stolperte auf dem Kalvarienbergplatz vor ein dahinbrausendes Fuhrwerk. Die erschreckten Pferde bäumten sich vor ihm auf, er stand nur da und blinzelte mit leerem Blick. Der Fuhrmann fluchte und wollte den verrückten Alten schlagen, der keine Augen im Kopf hatte, zumGlück erkannte er den Doktor. Er riss sich die Pelzmütze vom Kopf und machte Verbeugungen wie ein Muschik.
    Oh, das war ja der Doktor Schütz, der ihm das Eitersäckchen aus dem Bauch geschnitten hatte!
    Der Fuhrmann bat flehentlich um Verzeihung, und als er gebraucht wurde, erschien er vor dem Haus des Doktors, setzte ihn neben sich und brachte ihn zum Zigeunerlager. Die Unterredung dauerte nicht lange. Der Doktor bat um eine einfache Hilfe, doch Gilagóg ahnte, dass er etwas verheimlichte und früher oder später mit seinem eigentlichen Wunsch herausrücken würde. Gilagóg gab ihm einen Jungen zur Seite, der auf ihn aufpassen sollte. Er schärfte dem Kind ein, dass er ihm, wenn es zu stehlen wage, wenn irgendetwas wegkomme, wenn im Haus des Alten auch nur eine Stecknadel verschwinde, die Kehle durchbeißen würde. Der Junge hatte keine diebische Natur, er

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