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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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ihnen gar nicht in den Sinn kam. Hier vor ihnen lag der Körper, er lebte noch, er tat das Seine, hatte einen Duft, er dampfte und schnaufte, um im nächsten Moment zu erkalten und sich zu zersetzen. Das war nicht zu begreifen, nicht zu verstehen! Sie warteten. Was für ein schmachvolles Gefühl es auch war, sie warteten, ohnmächtig und neugierig, rot vor Scham warteten sie auf Margits Tod, und Klara fiel ein, was der Vater über das Warten gesagt hatte, als sie einmal zum Schiff schlenderten.
    Es klopfte, der Priester war gekommen, ein beleibter, wortkarger Mann, kein überflüssiges Wort kam ihm über die Lippen. Er ließ sich neben der Sterbenden nieder und tat, was zu tun war. Margit öffnete die Augen nicht. Klara sah, dass der Vater heimlich seine Würfel betrachtete.
    Amen, sagte der Priester schließlich.
    Amen, hüstelte Herr Schütz, doch er schlug kein Kreuz.
    Der Vater schwieg.
    Der Priester ließ Lehmspuren auf dem Fußboden zurück, wegen seines säuerlichen Geruchs musste man lüften. Der Vater spielte wieder, die Würfel klackerten über den Tisch, einer fiel zu Boden. Pelsőczy bückte sich, dreimal die Sechs, sagte er mit spontaner Freude, worauf der Körper der Sterbenden zuckte, langsam wandte sie ihm den Kopf zu. Errötend streckte er denArm nach ihr aus, als hätte er sie vom Kartentisch aus erreichen können, verzeih mir, flüsterte er, dann wankte er zum Bett und beugte sich über sie.
    Du weißt doch, László, keuchte seine Frau, es ist alles anders gewesen, als es war.
    Ich weiß nicht, flüsterte er.
    Du wirst jetzt gleich sterben, flüsterte sie.
    Ich weiß, ich sterbe gleich, weinte er, ich bitte dich, sei mir nicht böse!
    Ich bin nicht böse, auf einen, der stirbt, ist man nicht böse.
    Du wirst nicht mehr erwachen, László Pelsőczy!
    Ich erwache nicht, meine Liebe.
    Margits Augen begannen auszusehen wie die Wand eines leeren Glases. Klara erschauerte, sie meinte den letzten Atemzug zu hören, den fernen Ton eines Pfeifchens. Sie begann zu beben, Entsetzen packte sie. Später hatte sie noch oft den Gedanken, dass es kein schrecklicheres Gefühl gibt als die Ratlosigkeit, die sich nach dem Tod eines Menschen einstellt. Auf der Straße sang irgendwer mit kehliger Stimme. Klara verstand, dass es der erste wirkliche Tod in ihrem Leben war, das Hinscheiden ihrer unglücklichen Mutter würde sie immer an den eigenen Tod erinnern. Dieser Tod hatte sie über sich selbst und ihr Leben am meisten belehrt, dieser Tod würde sie bei jeder ihrer Handlungen, in jeder Hingabe und jeder Angst begleiten. Die Kindheit war vergangen, ohne dass sie richtig stattgefunden hätte, das Wesen, das sie gehätschelt hatte, war nicht mehr, in der Nacht würde die Tür nicht mehr aufgehen und keine trockene Hand ihr Gesicht befühlen, ob Fieber oder Brustschmerzen sie quälten. Der Vater schniefte, er starrte die Tote unentwegt an und schüttelte die Würfel, dann drückte er ihr die glasigen Augen zu und ließ seine Hand auf dem schmal gewordenen Gesicht. Ein Klirren, Doktor Schütz schenkte sich ein, dann sah er das leere Glas lange unverwandt an und füllte es abermals.
    Margit wurde auf dem innerstädtischen Friedhof nach katholischem Ritus beerdigt, es war der Frühling 1840, unerwartetviele Menschen waren gekommen, Verwandte, Bekannte und Unbekannte, auch Leute, die zu Pelsőczys ausgedehntem Freundeskreis gehörten. Der Priester, der auch die Letzte Ölung gespendet hatte, sprach voller Leidenschaft. Klara fiel ein, dass der Vater einmal gesagt hatte, es gebe keine Trauerrede ohne Fehler. Man könne nicht ohne Fehler Abschied nehmen!
    Glaubt ihr etwa nicht an das ewige Leben?!, fragte der Priester und wies zum Himmel, unter schwarzen Brauen musterte er die Trauernden.
    Wisst ihr, was Freundschaft ist?! Ein Rosenstrauch, dessen Blätter nur für kurze Zeit Labsal spenden, denn an seinen Wurzeln nagt der Wurm!
    Dieser Vergleich ließ einen der Trauergäste laut auflachen, doch der Priester tat so, als hätte er es nicht gehört. Klara warf einen Blick zur Seite und sah dem dünnen Mann geradewegs ins Gesicht, worauf Wurm ihr zuzwinkerte und die Schulter hob.
    Doch was ist das, die Liebe?!, rief der Priester aus und gab gleich auch die Antwort, Feuer, Feuer, das unser Inneres verbrennt und auch jene versengt, die wir lieben! Liebe Brüder und Schwestern, im Staub der Erde ist alles mangelhaft und unvollkommen! In dieser Welt geht alles zugrunde und stirbt!
    Klara musste sich wieder umdrehen. Wurm zwinkerte

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