Blumenfresser
Blickes mehr gewürdigt, allein, Imre stand bereits wenige Tage nach dem unsäglichen Zusammentreffen bei ihr vor der Tür. Das war mehr als dreist! Er trat in dieWohnung und warf gleich eine Vase um, das aber gefiel Klara. Er kam wieder, einmal wöchentlich, schließlich vereinbarten sie ein Rendezvous auf der Promenade, sie gingen ins Konzert, zu einem Liederabend, zu einer Lesung. Klara, die seit zwei Jahren nichts anderes getan hatte, als ständig achtzugeben, dass mit ihrem Vater keine Tragödie passierte, spürte, wie sich ihr das Leben öffnete. Imre war ein schlanker, hochgewachsener Mann, seiner Kleidung nach zu urteilen, hatte er lange im Ausland gelebt, er sprach langsam und umständlich, doch Klara war es nie langweilig mit ihm. Wenn er lächelte, zeigte sich in seinem Mundwinkel ein seltsamer Zug, den Klara liebgewann, mehr war vielleicht nicht nötig, um sich endgültig für ihn zu entscheiden. Er war Mitglied der Akademie, das klang auch nicht schlecht. Ein Mann, der sich mit Pflanzen beschäftigte. Genauer gesagt mit Blumen! Ein Mann, über den seltsame Gerüchte in der Stadt kursierten!
Nach einigen Monaten hatte Imre seinen Entschluss gefasst. Als er mit der unverhüllten Absicht erschien, ihre Beziehung, wie er sich ausdrückte, auf eine neue Grundlage zu stellen, war Pelsőczy einigermaßen nüchtern. Er öffnete in einem verdrückten Hausmantel und löchrigen türkischen Pantoffeln und empfing Imre Schön wie ein König seinen Untertan.
Was wünschen Sie, zu nachtschlafender Zeit?
Erlauben Sie, Herr Pelsőczy, wie spät ist es denn?
Jedenfalls zu früh am Morgen!
Ja, verneigte sich Imre, es gibt tatsächlich Gegenden auf der Welt, wo jetzt der Morgen graut, doch hier bei uns geleitet gerade die Abenddämmerung Mensch und Tier nach Hause. Dieser gute serbische Likör ist für Sie, wenn ich Sie damit nicht kränke.
Nun herrschte Stille, offenbar prüfte Pelsőczy das Etikett der Flasche.
Klara lauschte, während die Männer im hinteren Zimmer verhandelten. Meistens sprach Imre, umständlich, doch diszipliniert, nichtsdestoweniger poetisch, sie hörte mehrmals dieLikörgläser klingen. Neben ihm, erklärte Imre, werde Klara wie die Mimose sein, die Mimosa pudica, zweifellos kenne auch Herr Pelsőczy die empfindliche Natur dieser Blume, ihre Eigenheit, sich selbst auf die zarteste Berührung hin gekränkt in sich zurückzuziehen. Er, Imre Schön, habe jedoch gelernt, die Mimose zu berühren, ohne dass sich ihre Blätter schließen. Er verspreche, das Blühen des Mädchens nicht zu stören. Klara hörte den Vater brummen, dann klangen wieder die Gläser. Sie schäumte stumm vor Wut und riss ihr Kleid ein − das hatte sie einmal, als sie mit der Mutter bei der alten Synagoge spazierenging, bei fluchenden Juden gesehen.
Ich soll eine Mimose sein?
Immer gekränkt?
Um mich muss man Angst haben?!
Dann söhnte sie sich auch mit der Mimose aus. Sie lachten viel darüber, dass sie die Hochzeitsnacht statt im Bett lieber draußen, auf dem riesigen freien Platz vor der Burg verbracht hatten, um die Blume zu suchen, und schließlich fand Klara sie auch, bereits gegen Morgen, als die Sonne gerade aufging.
Nach der ersten Woche ihrer Ehe machte sie betroffen die Entdeckung, dass Imres Blick sie reizte, dann verstand sie allmählich, dass dieses von weit her kommende, ein wenig überlegen wirkende Lächeln sie schützen und umsorgen wollte und dass sie von ihm auch im Grunde genau das erwartete: ruhig, friedvoll und verlässlich umsorgt zu werden. Von Imres Bruder, Peter Schön, den sie ebenfalls bald kennenlernte, wollte sie etwas anderes. Ruhe hätte sie bei Peter lange suchen können! Das Haus erbebte ja schon, wenn er nur um die Ecke bog!
Und von Zeit zu Zeit sah das kalkweiße Gesicht eines jungen Burschen zum Fenster oder durch eine aufgehende Tür herein, es gaukelte ihr nachmittags auf der Straße entgegen, blickte sie aus dem Schaufenster einer Apotheke an, oder sie bemerkte es auf dem Schiff. Gelegentlich konnte sie Imre zu einem Ausflug auf dem Wasser überreden, doch im Allgemeinen bevorzugte er Landpartien. Kaum stand Klara an der Reling, da sah sie auchschon das weiße Gesicht. Sie hatten gerade eine Flussbiegung passiert, am Ufer waren gelbe Lößwände zu sehen, darunter zog das Wasser vorbei, Eintagsfliegen schwärmten hektisch, und das weiße Gesicht sah sie unverwandt an.
Nie behandelte Imre Schön sie grob, und wenn Klaras Wille in andere Richtungen strebte, wurde er schweigsam
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