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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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hinsah, sich vom Stuhl erhob und zu ihr trat, um ihren Knöchel, ihre Wade und den Ansatz ihres Knies zu betrachten.
    Oft verstrichen die Abende in so tiefer, dichter Stille, als fehlten ihnen Anfang und Ende. Was sie gerade begonnen hatten, womit sie fortfuhren, das wussten sie nicht. Es dämmerte, sie machten Licht, in der Lampe tanzten die Flämmchen, und irgendwann hörte Imre zu schreiben auf, ging zu Klara hinüber und begann zu ihrem Nacken zu sprechen, sie mache den Eindruck, hauchte er, als würde sie immerzu auf einen Fehler warten. Klara erschauerte, es überraschte sie immer, wenn Imre verletzlich, wenn er geradezu kindlich wurde. Er konnte ja auch Blödsinn reden! Er rieb sich die Schläfen und begann zu philosophieren.
    Was überhaupt erfahrbar sei, sagte er, könne man nur von Menschen erfahren. Gott habe ihm noch nie etwas gesagt. Früher habe er ihn in einigen Dingen um seine Meinung gefragt, das werde er nie mehr tun.
    Klara schloss die Augen, sie lachte in sich hinein, er war ja wie der Vater, wirklich, ganz wie ihr Vater!
    Es gibt Blumen, fuhr Imre fort, deren Blätter den Sonnenschein nicht mögen, bei Licht schlafen sie. Ich werde dir einmal den Sauerklee zeigen.
    Sauerklee, Sauerklee!, Klaras Lachen blubberte wie Quellwasser, Imre zuckte missmutig die Achseln, er trat zum Schaukasten, du machst es unnötig kompliziert!, sagte sie in seinem Rücken. Imre schwankte zwischen der Weinbouteille und demAnisschnaps, schließlich griff er nach letzterem und brachte auch Klara ein Glas. Eine Blüte schimmerte darin. Klara ließ zu, dass Imre seine Finger an ihrer Kehle hatte, während sie den Schnaps hinunterschluckte.
    Ich werde dir mal eine trübe Nachtviole zeigen!, sagte er.
    An manchen Tagen verließen sie das Bett nicht, zogen die Vorhänge nicht zurück, nur die Wasserkanne und die Likörflasche zeichneten sich auf dem Nachttisch ab, Krümel von Keksen und Zwieback waren um sie verstreut, sie lauschten dem Trommeln des Regens oder dem Rascheln des verwehten Schnees und gaben den Lichtflecken an der Wand Menschennamen. Dieses Spiel, das vom ersten Moment an über einen einfachen Zeitvertreib hinausging, hatte Klara erfunden. Die junge Frau wunderte sich, dass Imre sich nicht sträubte, ja die Idee gleich für gut befand. Dabei war das ein offener Angriff auf Imres unantastbares Reich, eine kluge und gerissene Attacke, doch er verhielt sich so, als würde er die Herausforderung nicht bemerken. Es war Klaras Idee gewesen, sie hatte sich ausgedacht, dass sie einen Tag lang nicht aufstehen würden, nicht einmal dann, wenn jemand gegen die Tür hämmerte, wenn man sie suchte, die Leute draußen drohten oder beteten, und auch nicht bei Sturm und Gewitter, Hochwasser und Feuersbrunst − und wenn der unbeherrschte Peter noch so sehr an der Klinke rüttelte oder ein trauriger Hausierer vor der Tür stand oder sogar der Gerichtsvollzieher, ja nicht einmal das typische Gescharre von Doktor Schütz hätte sie dazu bewegt aufzumachen!
    Nicht einmal Herr Schütz!
    Nein, auch Herr Schütz nicht!
    Sie würden nichts tun, nichts tun dürfen! Sie dürfen sich nicht bewegen, nur einander diesen einen Tag erzählen.
    Nur ihre Worte dürfen sein!
    Sie machten die Erfahrung, wie entsetzlich schwer es war, vom Essen, von der Liebe, von alltäglichen Dingen zu sprechen, ohne einander zu berühren. Nach einiger Zeit verbannten sie Tabak, Likör, Süßigkeiten und Kekse, nur die Wasserkannedurfte auf dem Nachttisch bleiben. Zuallerletzt auch die nicht. Wenn seine Finger sich auf Klaras Bauch verirrten oder wenn sie nach ihm griff, war der Zauber gebrochen, es war unmöglich, mit dem Erzählen fortzufahren. Sie selbst, ihre Körper, ihre physische Wirklichkeit bestanden aus Träumen, und das, worüber sie sprachen, wurde zur Wirklichkeit. Klara flüsterte, sie sei bereits aufgestanden und mache sich mit ihrem Florentiner Lieblingskamm das Haar zurecht. Gleich darauf ging sie auf der morgendlichen Straße spazieren, suchte den Schnittwarenhändler auf, um zwischen Taften und Satins ihre Wahl zu treffen, dann ließ sie sich Schokolade, geriebene Haselnüsse und Wiener Marzipan in einer raschelnden Papiertüte einpacken, und schließlich machte sie in der Deutschen Straße ein Kaufangebot für ein Klavier, nicht dass sie es sich hätten leisten können, doch es tat gut, sich an das Instrument zu setzen und mit ein, zwei Läufen zu prüfen, ob es gestimmt war. Dann trat sie in den Laden der Hutmacherin Terézia Frei, ihrer

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