Blumenfresser
Narzissen, die sie auf dem Marktgekauft hatte, gemeinsam mit Rosen und Kamillen in eine Vase. Doch als Imre es bemerkte, stellte er die Narzissen in eine eigene Vase.
Sie, er zeigte auf die Narzissen, vergiften die anderen. Es gibt Blumen, die sind nicht in der Lage, mit ihren Verwandten zusammenzuleben. Dann streute er ein wenig Salz und Zucker in die Vasen.
Narzissen wuchsen neben einem Kuhstall, wo schmächtige junge Kuhmägde die Milcheimer schleppten. Ein Stück weiter, am Theißufer, in der Umgebung der Salzschuppen und Mühlen, blühten seinethalben Primeln, Kornblumen und Zyklamen.
Imre umarmte Klara von hinten, er sprach zu ihrem Hals, ihrer erschauernden Haut. Weißt du, meine Blumen sind wie die Rosensträucher der Kaiserin Joséphine in Malmaison, die ich selbst gesehen habe, nur werden sie nicht von Soldaten mit Bajonett und Gärtnern gepflegt − das Schicksal behütet, wie wir wissen, nicht unbedingt diejenigen, die es verdient hätten. Die Lieblingsblumen der englischen Königin Viktoria sind die Primeln. Wie in die Erde gepflanzte Handschuhe aus gelber Rehkitzhaut sind sie, weiße Schlüsselchen baumeln von ihnen herab und öffnen selbst das Tor zum Himmel. Ja, die Primeln! Doch mit Blüten werden keine Tore geöffnet, das weißt du doch? Und das Tor zum Himmel, das weiß selbst die englische Königin, lässt sich auch mit der Axt nicht öffnen. Kleopatra verbannte die Lotusblüte aus ihrem Palast und machte die Rose zur wichtigsten Blume des Reichs, doch das sind nur Daten, meine Liebe, nur Daten. Wir lesen Zeitungen und Bücher und erfahren etwas, Zeitpunkte, Orte, Gründe. Doch weißt du, dass ich rund um einen Misthaufen in der Unteren Stadt Zyklamen gepflanzt habe und der Landwirt, als er sie sah, sogleich die Sense holen lief? Wie ein Verrückter metzelte er unter Gebrüll die Blumen nieder. Danach saß er lange neben dem Haufen Unrat und schlug sich weinend auf den Kopf. Ich verstehe ihn, er konnte nicht anders.
Am schwarzen, schlammigen Ufer des Szil-Bachs blühte eine Zeile weißer Tulpen, ehe eine jugendliche Gesellschaft über siehinwegtrabte. Die jungen Leute schwenkten in der dämmrigen Stadt Fackeln, für Fortschritt, Reformen und sonstige gesellschaftliche Ziele. Und die armen kleinen Tulpen waren dahin. Doch das macht nichts, meine Liebe. Sie sind aufgeblüht, haben sich dargeboten und gelebt, so lange wie es ihnen möglich war, und vielleicht wird es jemanden geben, der sich an sie erinnert. Ein kleines Mädchen, das aus dem benachbarten Hof herübergespäht, ein Fleischer, der vor seinem Laden das Messer an der Schürze abgewischt hat. Vor der Volksschule der Vorstadt, neben der Mauer des Gymnasiums haben unter dem Fenster des Lateinlehrers Malven zu blühen begonnen. Im Tor der Bibliothek leuchtet das Gelb der Kamillen. Die blauen Soldaten der Wegwarten haben neben der Kirche von Rochus Aufstellung genommen, und an der Westseite der Franziskanerkirche, wo im letzten Winter ein Betrunkener erfroren ist, überwuchert Steinbrech die Mauer!
Klara musste die Erfahrung machen, dass die Düfte der Blumen am Morgen stärker waren und sich bis zum Mittagsläuten abschwächten, während sie gegen Abend, wenn auch die Insekten ruhten, kaum noch Kraft hatten. Es gab keine Notwendigkeit mehr zu duften. Dann erfuhr sie, dass es sich nicht mit allen Blumen so verhielt. Zu der Zeit wurde in der Stadt nicht nur Pflaster verlegt, man begann auch mit der Montage von Gaslampen. Nach einem stillen sommerlichen Sonnenuntergang, als der Wind verebbt war, begann Imre sich anzuziehen und gab auch ihr ein Zeichen, sie möge sich das Tuch überwerfen und mitkommen, und sie folgte ihm gehorsam. Auf der anderen Seite des Platzes loderten Fackeln, in einem nahen Kaffeehaus diskutierten junge Leute, im Hof des benachbarten Gasthauses zerrten Pferde am Strang, während drinnen die Fuhrleute tranken. Am Ende ihrer Straße, der Schwarzer-Adler-Straße, wölbte sich das Eisen einer neu aufgestellten Laterne, ihr zarter Schein umgab sie wie ein Reifrock aus Gold. Imre trat zurück in die Dunkelheit, machte mit einem Feuerstein Licht und zog Klara an sich.
Riechst du, wie das duftet?
Ja, sagte Klara und bestaunte die winzige Blume, die sich im Spalt zwischen zwei plumpen Pflastersteinen entfaltet hatte.
Das ist die trübe Nachtviole, sagte Imre, in der Nacht duftet sie stärker als bei Tageslicht.
Hin und wieder ging Klara spazieren, alleine, und Imre hielt sie nicht zurück. Diese Spaziergänge hatten keinen
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