Blumenfresser
besonderen Zweck, Klara sah sich um, kaufte dies und jenes, hielt auf dem Markt Umschau, feilschte zum Vergnügen, grüßte Wurzelmama, ließ den Kopf ein wenig an ihrer Schulter ruhen, streichelte Blatt das Gesicht, drohte Wurm, der den Fleischbratern lästig fiel. Einer Eingebung folgend wandte sie sich zum Fluss, nahm den Weg an der Burgmauer vorbei, dunkel zeichneten sich die Überreste des sogenannten Eugéniusz-Grabens ab, ein dicker, schlammiger Streifen, den noch die Hochwasser vor dem Tod der Mutter mit Schwemmmasse gefüllt hatten. Hier war sie mit dem Vater immer zum Schiff gegangen, über den langen Steg, voll mit spähenden Astlöchern, und von hier hatten sie das Schiffsvolk am Ufer beobachten können. Hier war sie aufgewachsen. Und jetzt war sie allein. Und während der Wind ihr das Haar zauste, bemerkte sie etwas Seltsames. Ein menschlicher Arm schien sich aus der nassen Erde emporzustrecken. Doch es war kein Arm, keine Hand, die nach ihr griff, sondern eine Blume, die nach ihr rief!
Eine blühende Lilie! Sie reichte ihr bis zum Knie, bog sich bis an ihren Rock. Es war ein echtes Wunder, dass es hier eine Lilie gab, für sie gepflanzt, dass sie hier stand und sich ihr zuneigte und alle Gefahren überdauert hatte: das den Weg entlanggeschleifte Matrosengepäck, trampelnde Stiefel, über das Ufer geschleppte Bohlen, rollende Fässer, die wochenlang kein Gras mehr wachsen ließen, und aus Säcken rieselndes Salz. Wie groß war ihre Chance gewesen, am Leben zu bleiben und dann zu blühen, bevor sie, Klara, hierher kam?! Sie überlegte, wie sich diese Absurdität fortsetzen ließe.
Sie nahm die Blume nicht samt ihrer Wurzel nach Hause.
Von einem Schiffer erbat sie sich ein Messer und schnitt sie am Stengelansatz ab.
Erkennen Sie mich nicht?, fragte der Schiffer, ein hünenhafter, düster blickender Mann.
Sind Sie das, Herr Berger?
Ist Ihr Schwesterchen schon wiederauferstanden?
Zu Hause legte sie die Blume auf den Tisch. Zuerst aß sie die blassgrünen Blätter des Stengels, dann die herzförmigen Blüten. Dann saß sie nur da, die Hände im Schoß, und überließ sich dem nachmittäglichen Dämmerlicht, der wachsenden Dunkelheit, dem Schmerz, der ihren Körper mehr und mehr ausfüllte, und dem Schwindel, der sie tiefer und tiefer hinabzog, und sie hörte die Musik Nero Kosztas, der unter ihrem Fenster summte. Dann stand er plötzlich neben ihr. Er griff nach ihr, betastete sie am ganzen Körper, an der einen Stelle nahm er den Schmerz fort und versteckte ihn an einer anderen. Ihren Bauch übersäte er mit Bissen. Auf den Blasen ihres Stöhnens und Keuchens ließ er seinen Grashalm tanzen. So wurde sie von Imre gefunden, im Dunkeln sitzend, reglos, mit geschlossenen Augen, den Kopf auf der Schulter, doch sie atmete noch.
Mein Gott, was hast du gemacht?! Lilien sind giftig!
Ob sie ihm wohl sagte, nein, mein Lieber, das haben wir gemeinsam gemacht, du und ich?
Keine Viertelstunde später ging Doktor Schütz in der Wohnung an der Schwarzer-Adler-Straße zu Werke, zuerst rannte er, ohne um Erlaubnis zu bitten, zur Vitrine, schnappte sich ein Glas und trank einen Magenbitter, dann machte er sich an die Arbeit. Klara würgte, violetter Schaum rann ihr übers Kinn, sie verdrehte die Augen, ihre Finger bebten, als würde sie Klavier spielen. Sie warf sich wie vom Teufel besessen hin und her. Der Arzt kramte in seiner Tasche und fluchte auf Ungarisch, er suchte ein Brechpulver und ein darmberuhigendes Mittel, doch weil seine Hand zitterte, entglitten ihm die Fläschchen. Imre bewegte sich lange nicht, dann trat er zum Fenster und öffnete es weit.
Keine Musik, Nero, ich bitte dich, jetzt nicht!
Sie müssten wissen, Herr Schön, widersprach der Grasmusikant, dass ich in solchen Fällen nicht aufhören darf! Trotzdem wurde die Musik nun leiser, hinter seiner Gestalt tauchte ein gewaltiges Frauenzimmer auf, und auch Imre, der am Fenster stand, spürte die Wärme von Wurzelmamas Seufzen.
Es war längst Juni, doch Klaras Rekonvaleszenz zog sich hin, und es gab mehr als einen Moment, in dem die Lage kritisch wurde, ihr Leben, ihr nächster Atemzug, ihr nächster Herzschlag schien an einem seidenen Faden zu hängen. Klara hatte das Gefühl, sie habe nur eine Blüte von ihrem Gesicht geblasen, und die sei langsam rund um die Welt geflogen, um nun erneut vor ihren Augen zu schweben. Nach der letzten Untersuchung zog Doktor Schütz Imre zur Seite. Er dachte eine Weile nach, wie er beginnen sollte. Klara
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