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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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den Riten der Arbeit vertraut zu machen, er hatte kein Interesse an Festtagen, den ersten im Weindunst erstickenden herbstlichen Volksbelustigungen, bei denen Handwerksgesellen sich gegenseitig blutig schlugen. Schlachtfeste, Innungsfeiern, das Licht der Menora an Chanukka, Casinobälle zogen ihn genauso wenig an wie das Neujahrsfest der Serben, die Kirmes und die Prozessionen. Was Imre wollte, was der tiefere Sinn seiner Arbeit war, wusste nicht einmal Klara so recht. Zuweilen dachte sie, die Schöpfung habe es ihm angetan. Die Schöpfung war offenbar mit der Geburt der Geschichte nicht zu Ende, und Imre wollte mit seiner Umständlichkeit und selbstgewissen Eigenwilligkeit diesen Vorgängen etwas absolut Neues hinzufügen. Wie jemand, der einem unermesslich reichen Menschen einen Groschen in die Tasche steckt, hier, das gehört auch noch Ihnen, mein Herr. Als wollte er im Bilderbuch der Schöpfung ein neues, persönliches Kapitel aufschlagen. Diese Schöpfung konnte kaum einen alltäglichen Sinn haben, und doch war sie provokanter, als Klara je gedacht hätte. Er sprach nicht darüber, doch sie wusste, dass er mit den Arbeitern der Stadt, die Straßen und Gräben pflasterten, regelmäßig in Auseinandersetzungen verwickelt war. Manchmal fand sie in ihrem Fenster Blumen, Tulpen, Hyazinthen oder Rosen, hübsche kleine Sträuße, und das tat gut. Die Blumen besiegten das Unheil, sie blühten auf, und das taten sie alles für sie. Als Széchenyi dreiunddreißig in der Stadt weilte und den staubigen Hauptplatz überquerte, stutzte er, bückte sich und richtete sich, eine gelbe Blume zwischen den Fingern, wieder auf. Der Graf hielt sie seinem überraschten Gefolge, den Mächtigen von Szeged unter die Nase.
    Meine Herren, wie kommt diese Pflanze hierher?!
    Die verblüffte Obrigkeit riss die Augen auf. Das wissen wir nicht, Herr Graf!
    Wissen Sie vielleicht, was das für eine Blume ist?!
    Möglicherweise eine Margerite, vermutete ein Stadtrat, der sich, mit der Hand am Binokel, nach vorn drängte, kein Zweifel, eine Margerite, Herr Graf!
    Das ist keine Margerite, Széchenyi schüttelte den Kopf und tat im nächsten Moment etwas, das den Häuptern der Stadt das Blut in den Adern gerinnen ließ. Er steckte die Blume in den Mund und begann sie zu zerkauen. Nach dem Hinunterschlucken rückte er seine Krawatte zurecht.
    Eine chinesische Chrysantheme, eine seltene Blume. Sie verstehen, eine absolut essbare Pflanze! Sie hat einen etwas herben, doch angenehmen Geschmack, fügte er noch hinzu und ging zum Rathaus weiter, wo die Wache bereits salutierte.
    Auch diese Geschichte hatte der Vater erzählt, damals mochte er schon von den Marotten des jungen Imre Schön gehört haben, der in jungen Jahren aus der Stadt verschwand, um eine Studienreise ins Ausland anzutreten, durch Europa, Deutschland, Italien, Frankreich, wer weiß, wo.
    Imre erzählte auch später nicht viel von seinen Reisen. Er verließ oft das Haus, doch nicht, um zu trinken, nicht, um in Casinos seine Zeit zu vergeuden. Wenn er daheim zur Flasche griff, trank er viel, wurde aber niemals richtig betrunken, sondern nur langsam und verfiel in ausgiebiges Schweigen. Vor dem Aufbruch stopfte er sich die Taschen mit Tüten voll, sie enthielten Blumensamen und -zwiebeln, damit lief er durch die Stadt, um sie einzusetzen. Im Herbst nahm er sich freundlichere Hintergärten und Parks vor, um Plätze für die Tulpen, Narzissen und Lilien zu finden. Und im April des nächsten Jahres kamen tatsächlich Blumen heraus. Als erstes blühten natürlich die Schneeglöckchen, Imre kannte die Stellen, beachtete sie jedoch nicht weiter, sie seien so unschuldig, sagte er zu Klara, dass es überhaupt nichts Interessantes an ihnen gebe. Übrigens komme die Stechpalme sogar noch früher als das Schneeglöckchen. Nur sei sie in dieser Gegend selten. Imre wusste auch, wo die ersten weißen Veilchen blühten, besonders, wenn er dafür gesorgt hatte, dass dieses Ereignis vor dem Ordenshaus der Minoriten, einem Amtsgebäude oder einem Krämerladen stattfand. Diese Blumen hatten natürlich ein kurzes Leben, sie wurden abgerissen oder schon zertrampelt, bevor sie geblüht hatten. Auf dem Markt hörte Klara, wie ein Bauer aus der Unteren Stadt sagte, neben seinem Schweinestall seien gelbe und rote Tulpen gewachsen, ein anderer beklagte sich, dass Rosen sich an seinem Maisschober hochgerankt hätten, seine Hand sei voller Dornen gewesen, als es ihm endlich gelang, sie auszureißen. Einmal steckte Klara

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