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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Hochwassern, die der Stadt seit Jahrhunderten zusetzten. Von Überschwemmungen, die sich wie ein einziger Strom von Szolnok her über sie ergossen und alles mit sich genommen hatten, in Kisten und Schobern gesammelte Ernten, Ställe, Kleinvieh. Klara hatte viel über das Hochwasser von 1816 gehört, ein so heftiger Schneesturm war vorausgegangen, dass er unweit der Stadt einen Reitertrupp unter sich begraben hatte. Sie stellte sich vor, wie die Soldaten sich im Frühling nach der Schneeschmelze verwirrt die Augen reiben und wie die Pferde das frische Grün zu kauen beginnen, bevor der Trupp nach Vásárhely aufbricht, wo niemand sie erkennt, verloren streifen sie durch die breiten Straßen, recken vergeblich die Hälse, um in die Höfe der Bauernhäuser zu blicken, und mit einem Mal wird ihnen klar, dass sie gar nicht mehr existieren, dass sie nur noch Geschichte sind, Gesänge und Weisen, und da springt der eine Rekrut vom Pferd, fliegt davon und wird zum Frühlingswind, die anderen folgen ihm.
    Von Kindheit an kannte Klara sich in ihrer Stadt aus, sie wusste, wie die Wasserläufe hießen, sie kannte die Armut der Leute in Rochus, den Tabak- und Lederduft des Palánkviertels, das Gehämmer in der Oberen Stadt und das Schnauben der Pferde, wenn sie beschlagen wurden. Zischendes Eisen, dröhnende Eisenstangen, Mühlen, Salzschuppen und Schnapsbrennereien wurden ihre Freunde. Die Glieder der Stadt lebten ihr Eigenleben, sie waren Inseln, zugleich Freund und Konkurrent des anderen, denn wenn auch der serbische, deutsche oder armenische Händler in Palánk auf das Bauernvolk der Unteren Stadt herabsah, so lebte er doch von ihm, verkaufte ihm Tücher, Loden und Tabak, an Feiertagen südländische Gewürze und Granatäpfel, Feigen oder Datteln.
    Unzählige Male wurde Klara Zeuge, wie das Wasser der Theiß die Stadt überflutete, 1830 zum Beispiel, auch wenn sie damals noch ein kleines Mädchen war, doch die Sprachlosigkeit der Erwachsenen, das nervöse Schniefen des Vaters ließ sie die Größe der Gefahr erahnen. Das Wasser schwemmte Tiere und Häuser mit sich fort, verwandelte sich rund um Szeged in ein glitzerndes Meer, und wer weiß, wie wenig gefehlt hatte, um die Stadt zu ersticken. Das Unheil ging vorbei, es kamen trockenere Tage, und Matrosen warfen Äpfel auf das andere Ufer hinüber. Doch in den von Entengrütze bedeckten, fauligen oder frisch plätschernden Gerinnseln stand Wasser, sie trockneten auch in der größten Dürre nicht aus. Es tat gut, sich zu erinnern, an den Fluss zu denken, und ihre Erinnerungen gaben ihr immer ein wohltuendes Gefühl von Gewissheit. Doch als sie heiratete, als dieser neue Abschnitt ihres Lebens begann, wurden die Erinnerungen, als wären sie beleidigt, nur zögernd wach, und wie nachdrücklich sie auch Forderungen stellte, nichts und niemand half. Schon seit Jahren zerfiel die Mutter unter dem von Wildrosen umrankten Holzkreuz zu Staub, und der Vater wurde kränker und kränker. Terézia Frei ihre Angst zu erklären war ein vergebliches Bemühen. Imre trat in ihr Leben, und nach der ersten gemeinsam verbrachten Nacht setzte sie sich erschreckt im Bett auf und lauschte dem heftigen Pochen ihres Herzens. Imre schnaufte im Schlaf, und Klara wusste, dass sie nirgendwohin fliehen konnte. Damals beruhigte sie sich noch und konnte gar nicht mehr verstehen, was sie so in Schrecken versetzt hatte. Sie hatte vollkommenes Vertrauen in Imres Charakter gehabt, in sein umständliches Beschirmen, später jedoch sah sie sich immer häufiger einer neuen, fremden Kraft gegenüber. Diese Kraft war furchterregender als alle bekannten Geschichten, als das Toben von Naturgewalten und die menschliche Grausamkeit. Auch das Wasser hatte Kraft, auf dem Wasser konnte man träumen, es ließ ihre Träume weiterplätschern, der Vater hatte sie fliegen lassen, und ihre unglückliche Mutter hatte sie an der Hand genommen, so dass sie wusste, sie konnte nicht fallen. Doch nun war ein anderer Mensch Teil ihres Lebens geworden, jemand, der seinen fixen Ideen mit ebensolcher Leidenschaft anhing wie sie selbst.
    Du hast keinen Mann, sondern einen Konkurrenten bekommen, meine Kleine, lachte Blatt zum Fenster herein. Der unnütze Kerl wurde weggeschubst, Blatt schrie, komm heraus, Klara, wir warten auf dich. Und sie fand sich in den Armen von Wurzelmama wieder, der sie ihr Leid klagen konnte.
    Auch Imre pflegte durch die Stadt zu wandern, doch nicht, um sich mit dem Aussehen der Häuser, mit Düften, Gesichtern oder

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