Blumenfresser
Sie trat vom Fenster zurück, stand nun beim Kinderzimmer, auch dort war das Fenster offen, damit ein wenig Luft durch das Haus zog.
Am Rand des Platzes, zu Füßen der Dreifaltigkeitssäule ließ ein sehniger, schwarzhaariger Mann Pfeifenrauch aufsteigen, auch er sah das weit offene Burgtor und die betriebsame Menge genau, sogar russische Ulanen entdeckte er zwischen den Österreichern. Wie auch immer, sie waren in die Stadt hineingelangt! Der Zigeunerwoiwode Gilagóg hatte sein Volk in die mächtige Wunderstadt namens Szeged hineingeführt! Seine gehorsamen Leute warteten neben den Wagen, obwohl sie nun Angst hatten und zitterten. Masa, der beste Mann des Woiwoden, war ruhig, er spuckte Aprikosenkerne. Gilagóg winkte den Karren, es ging weiter. Eine kaiserliche Patrouille überholte sie, einer der Soldaten drohte ihnen mit dem Bajonett, hurtig, Zigeuner, sonst werdet ihr in den Arsch gepiekt! Gilagóg verbeugte sich untertänig, doch seine Augen blitzten, er merkte sich den grobklotzigen, blonden Burschen.
Klara schloss die Augen, diese Blüte war sicher schon auf dem Weg!
Die Blüte wäre sicher in den Staub gefallen, doch die Winde wollten es anders, eine leichte Brise hielt sie fest und blies sie von neuem in die Höhe, sie flog dahin, über roten Dächern und den Schlünden von Schornsteinen. Dann sah es so aus, als würde sie im Schnabel einer Taube enden, doch der Vogel flog weiter. Die Blüte fügte sich einigen Windstößen, kreiselte schließlich sanft in die Schwarzer-Adler-Straße herab, flog zum Fenster ihres Hauses hinein und fiel auf das Kopfkissen eines kleinen Kindes. Es griff danach, besah die Blüte von allen Seiten, steckte sie in den Mund und schluckte sie hinunter. Eben trat Klara ins Zimmer, sie hätte stillen sollen, blieb zögernd stehen, betrachtete zerstreut das offene Fenster, dann machte sie die Brust frei. Das Kind verweigerte die Milch. Klara bemerkte entsetzt, dass seine Finger blutig waren und auch sein Mundeine verdächtige rote Färbung angenommen hatte. Sie schienen sich im hellsten, letzten Moment eines Traumes zu befinden, kurz vor dem Erwachen. Licht stürzte über sie herein, auf der Straße stieg Staub auf, die Hitze wurde am Fensterrahmen zu Honig. Doch ein ferner Ruf, der vom Platz herüberhallte, weckte Klara auf. Sie suchte an dem Kleinen die Wunde, die Verletzung oder tückische Abschürfung, von wo das Blut hergekommen sein konnte. Weil sie absolut nichts finden konnte, begann sie, ihre eigenen blutigen Finger zu untersuchen. Dann berührte sie die Blutstropfen mit der Zunge, so vorsichtig, wie man auf dem Tisch verstreuten Puderzucker zu sich nimmt. Den purpurroten Tropfen auf ihrer Zunge verschmierte sie sich auf den Lippen und dem Zahnfleisch. Klaras Mund war blutig, und das Kind verstummte.
Adam war tot!
Daran hatte Klara nicht den geringsten Zweifel. Sie spürte die Todesbotschaft in jenem Blut, obwohl sie zuerst den Geschmack des Lebens darin gefunden hatte. Sie scheuchte Fliegen vom Gesicht des Kindes, das zu weinen begonnen hatte. Zwei Aasfliegen hatten Speichel von seinem Kinn getrunken. Ein zerknittertes, kleines Gesicht, ruhelose Finger, Wolken um die Stirn. Imres aberwitziges Geträller war zu hören. Sie legte das Kind ins Bett zurück.
Ein warmer Windstoß fuhr ins Zimmer, und Klara sah Adam im Krieg. Verwundert betastet der Bursche seinen Dolman, seine Hand streicht über den Uniformstoff, er spürt etwas Warmes. Als das Bajonett aus seinem Bauch zurückgerissen wird, zieht es seine Gedärme mit sich, gleich verhedderten Stricken treten sie aus seinem Körper heraus. Er sieht zögernd auf, sein ungeschlachter Angreifer taumelt, seine Züge kamen Adam bekannt vor, vielleicht hat er ihn schon einmal gesehen. Er keucht, als bekäme er keine Luft. Adam erkennt ihn vielleicht, denn er lächelt. Der andere gleicht einem Berg. Er atmet pfeifend, schlägt sich mit der Faust auf die Stirn. Noch ein paar Augenblicke lang hält Adam seine Gedärme, wie man mit gepflücktem Obst in derSchürze dasteht, dann stürzt er vornüber, sein Körper reißt den pulverdampfenden Himmel mit sich. In der Nähe pflügen Kanonenkugeln die Erde, Brocken prasseln nieder, Rauch qualmt, mit verzweifeltem Wiehern versucht ein verletztes Pferd aufzustehen. Der Ungeschlachte ragt über Adam in die Höhe, er schlägt sich immer noch auf die Stirn. Der Bursche windet sich, die Hände in den Bauch gegraben, und bohrt sich, als wolle er hineinschlüpfen, mit dem Kopf in die Erde. Sein
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