Blumenfresser
sie sah Vater und Mutter wieder, ihr wunderschönes Schiff wiegte sich auf den Wellen, jetzt tutete es, aus dem Schornstein jagten einander Rauchbälle in den Himmel. Die Burgmauer war von Efeu und Rosen überwachsen, Bienen summten in dem grünen Vorhang. Sie schritt zwischen Blumen hindurch, Veilchen, Kamillenstengel und Vergissmeinnicht grüßten ihren Knöchel. Dann stieg ihr ein so durchdringender Aasgeruch in die Nase, dass ihr einen Moment lang schwindelte, sie hatte die Hexeninsel erreicht.
Wie bezeichnend, dass alles hier zu Ende gehen wird, dass ich hier zugrunde gehen werde!, dachte sie, noch bevor sie die Besinnung verlor.
Auch das erzählte das kleine Zigeunermädchen Somnakaj: Einer der Leute ihres Vaters, ein Zigeuner namens Masa, fand Klara und angelte den schrecklichen Todesfisch aus ihrem Körper heraus! Der stumme Masa, der so geschickt war, dass er mit seinem Mund Steine werfen konnte, rettete ihr das Leben, er brachte sie ins Lager, damit auch Imre und Doktor Schütz sie fanden.
Somnakaj
Im Sommer von 1850 legten sich dunkle Wolken über ihr Leben, drückender als alles, was bisher gewesen war, und es half ihnen auch nichts, dass Imre das Mädchen Somnakaj dem Woiwoden der in der Stadt ansässig gewordenen Zigeuner regelrecht raubte. Im vergangenen Herbst hatte man das Mädchen zu ihnen gebracht, da hatte ihr das Fieber den Mund schon rissig gebrannt, sie redete wirr, aß nichts, und Doktor Schütz, der nach einem Jahr tiefster Schwermut seine Lebenslust in den Tagen der scheiternder Revolution zurückgewonnen hatte, hielt ihren Zustand für kritisch. Beinahe wäre Somnakaj gestorben. Sie wurde so krank, dass sie aus der Tiefe ihrer Lunge Rosen und Tulpen heraufhustete, ihr Körper verfärbte sich gelb, sie wusste nicht einmal mehr, wie sie hieß. Doch natürlich wurde sie gesund, weil der deutsche Arzt sie hatte herbringen lassen und nicht mehr ins Lager zurückließ. Gilagóg, ihr Vater, schien sich damit abzufinden, dass er sie verlor, doch in seinem Blick mischten sich Flüche und flehentliche Bitten. Vielleicht hatte der Woiwode eingesehen, dass es hier für das Mädchen besser war als in der Senke, im Schlamm, in der Kälte. Und auch Somnakaj spürte, dass sie in diesem seltsamen, großen Haus besonders wichtig war, bei diesen eigenartigen Menschen, die alles anders machten als die Zigeuner, die anders glücklich und anders traurig waren, und die sich vielleicht auch von den Ihrigen, den Ungarn, unterschieden. Sie wusste auch, dass man mehr von ihr erwartete, als sich mit dem Besen und dem Aufwischlappen abzugeben oder sich mit dem Kleinen zu beschäftigen. Wärme durchströmte sie, wenn Klara in ihrer Nähe war, ihr Gesicht gewann an Farbe, sie atmete schnell, es fiel ihr schwer, auch nur die einfachsten Worte auszusprechen, lieber schnitt sie Grimassen. Wenn man sie um etwas bat, brachte sie den Kamm, das Puderschälchen, den Einkaufskorb mit gesenktem Kopf. Sie kämmte Klara mit zitternder Hand, und wenn diese sich ankleidete, reichte sie ihr die Blusen,die Seidenkleider mit verschämtem Lächeln. Klara wusste, dass das Mädchen sich einen Körper wie den ihren wünschte. Somnakaj hielt sich für dünn und eckig. Deshalb aß sie viel, oft schlang sie, um zuzunehmen, doch diese Unmäßigkeit endete gewöhnlich damit, dass sie in der Nacht aus dem Haus huschen und vor Angst zitternd alle die Leckereien wieder erbrechen musste. Sie wollte runde Schultern, wie Klara sie hatte, sie sehnte sich nach solch weißen, üppig wippenden Brüsten, sie hätte gerne so einen weichen Bauch gehabt, von dem ein Fingerhut Wasser nicht herabfloss. Sie mochte es, diesen Körper zu berühren, es tat ihr wohl, sich an ihn zu schmiegen, mit ihm zu ruhen und zu baden. Somnakaj wusste nicht, dass sie schön war, dass ihre kleinen, harten Brüste, die schlanke Taille, das sommersprossige Gesicht und ihr Blick, der kindliche Offenheit wie Ernsthaftigkeit verriet, eine Form der weiblichen Schönheit darstellten, die Unruhe weckte, weshalb ihre Besitzerin in Gefahr schwebte. Sie gewöhnte sich im Haus der Familie Schön ein, wo der brummige deutsche Doktor ein regelmäßiger Besucher war. Einmal hatte er sie alle mit einer furchterregenden Apparatur aus der Welt gezaubert. Klara zeigte Somnakaj das Bild, doch dort, wo sie hätte sein müssen, sah sie die undeutliche Kontur einer seltsamen Pflanze. Der Doktor kniff sie in die Wange und betastete ihren Körper, dennoch mochte Somnakaj den Alten. Hin und wieder
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