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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Herz ist bei den letzten Schlägen angelangt, Grasbüschel beißend verliert er die Besinnung.
    Später würde auch das Zigeunermädchen Somnakaj über diese Szene sprechen. Klara würde sie auch in den schnarrenden Liedern der Zigeuner hören und aus den verzwickten Bemerkungen von Doktor Schütz erfahren. Sie sah den Rauch, der über den Feldern zitterte, die Leichen, die sich ständig bückenden Zigeuner, die einander mit halben Sätzen und Zischlauten die Richtung wiesen. Es war heiß wie in der Hölle, die Aasfliegen summten in Trauben, in der Kühle unter den Büschen lauerten Hunde, und weil sie nicht an die Leichname heran konnten, bissen sie sich gegenseitig. Leise knackend, ihre schwarzen Blätter verstreuend, brannte eine einsame Pappel. Während die Frauen die Toten entkleideten, suchten die Männer nach Wertvollem. Somnakaj riss am Grabenrand Blumen aus und knüpfte sich aus Wolfsmilch Halskette und Armreifen. Der Wind tanzte mit unsichtbaren Menschen, die Gerüche wurden immer stärker, eine Möwe pickte im Gesicht eines Toten herum. Das junge Mädchen sang leise. Blutige, verrenkte Leichen, so weit ihr Blick reichte. Der Anblick erschütterte sie nicht. Dergleichen hatte sie längst zur Genüge gesehen, das Sterben von Zigeunern, Türken und Serben ebenso wie den Todeskampf österreichischer Grenzsoldaten. Sie blinzelte, beschattete sich die Augen, über ihr bekamen die Schäfchenwolken Rüschen, ein Wildvogel kreiste über den Weiden, die Möwe war satt, schreiend flog sie davon. Das Mädchen spürte, dass es beobachtet wurde. Ein weißer Fleck auf dem Boden, das Gesicht eines jungen Burschen fiel ihr ins Auge,er schien etwas zu sagen, die Zähne des aufgerissenen Mundes waren von Erde geschwärzt. Dunkles Blut klebte am spärlichen Bart, seine Schmerzen mochten fürchterlich gewesen sein, doch an der Stirn zitterte eine Hundsrosenblüte. Beinahe hätte das Mädchen aufgeschrien, es war der Mann, der vor einigen Stunden in ihrem Lager gewesen war und sich überhaupt nicht vor ihnen gefürchtet hatte.
    Somnakaj berührte die Hand des Toten.
    Ich reiße sie ab!, flüsterte sie. Du hast sie mir nicht gegeben, ihr Finger berührte sein Kinn, du hast sie mir nur gezeigt, sang sie und riss die Blume tatsächlich ab.
    Diese Blüte flog dann durchs Fenster in das Schön-Haus hinein.
    Klara sank in den Kissen des Sofas ein und starrte auf die gepresste Blume an der Wand. Ein Lichtfleck kroch ihr aufs Bein, wanderte in das Tal ihres Schoßes, sein Gewicht lastete entsetzlich auf ihr. Im anderen Zimmer wimmerte das Kind, sie war nicht imstande, sich darum zu kümmern. Alle Kraft schien aus ihrem Körper gewichen. Imre sang. Adam war tot. Peter war nicht existent, er war schon wieder den Schlund der Welt hinabgerutscht. Adam war ein Kind gewesen, ein winziges Licht, ein weißes Nichts! Während sie an sie dachte, verdichteten sich die drei Männer zu einer einzigen Gestalt. Plötzlich grinste sie ein zerlumpter Krüppel an, ein Krüppel mit schönem Gesicht und weißer Haut. Seine Zähne waren schartig und gelb, die Arme behaart wie ein Hundeschwanz, er reichte ihr ein Glas mit Likör und sprach mit Imres Stimme, trinke, mein Kind, trink was Süßes, mein Kind!
    Als ihr Schiff dahin war, als sie und ihr Vater am vom Morgenlicht klebrigen Ufer herumstanden, hatte sie eine ähnliche Verlorenheit empfunden.
    Ich gebe ihn nicht her, zischte sie. Was ich brauche, gehört mir!
    Sie lachte schneidend auf, fuhr sich mit der Hand vor den Mund, die krächzenden Laute hatten sie erschreckt, sie lachtenochmals auf. Und wieder kam dieser fremde, irre Ton aus ihrer Kehle.
    Imre beugte sich über sie, streichelte sie, die Berührung ließ sie zusammenfahren, fast hätte sie sich übergeben. Er sprach, doch sie verstand nicht, was er sagte. Dann bot er ihr Likör an, doch sie wandte sich ab.
    Gehen wir spazieren!, schlug er vor, obwohl er offensichtlich wusste, dass er etwas Unmögliches sagte. Niemand durfte auf die Straße hinaus, jetzt ging das nicht, nicht einmal bewegen durfte man sich! Klara lachte krächzend, sie wollte böse sein, schlug Imre. Er wehrte müde ab, sie ließ ihn allein und rannte aus dem Haus. Sie hatte keine Ahnung, wohin und wie lange sie schon lief, sie wollte einfach aus dem Leben hinauslaufen. Eine aberwitzige Leidenschaft trieb sie an, sie streunte in der Stadt umher, grinste verwunderte Soldaten, düstere Patrouillen an, niemand hielt sie auf, als wäre sie eine Erscheinung, ihr Haar war aufgelöst,

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