Blumenfresser
Ufer brannten. Sie machten einen Spaziergang zum Fluss, ein Geschoss hatte eine Pappel gespalten, der geborstene Stamm sah aus wie ein gewaltiger Zahnstocher.
Imre kramte in seinen Papieren, machte sich mit seinen Pflanzen zu schaffen, meistens war er betrunken und trällerte immerzu. Man konnte nicht lüften. Der Wind trieb den Schießpulvergeruch, den Rauch und das Brausen des Mordens in die Stadt, der heiße Wind wirbelte den Staub auf. Am Tag zuvor waren sie in gespannter, bedrohlicher Stille erwacht, gewaltige Stürme kündigen sich so an. Imre ließ das Trällern sein, heute ist die letzte Schlacht, knurrte er.
Klara ergriff seinen Arm, ist es vorbei? Er gab keine Antwort.
Sie hörten das Gefecht nicht, als fände es gar nicht statt. Imres Zerstreutheit steckte sie schließlich an. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihnen etwas passieren könnte, sie hatten nichts mehr mit dem Ganzen zu tun, sie hatten nichts mehr mit der Stadt zu tun, in der sie wohnten, nichts mehr mit den Straßen und den Menschen, ihre Fremdheit war ein Zufluchtsort; wenn diese Welt sie nicht sehen konnte, würde sie ihnen auch nicht schaden können. Stumme Häuser, schmutzige Mauern verdeckten die Sicht, doch Klara wusste, was sich in der Umgebung der Burg abspielte, auf den Planken, die zum Ufer führten. Ihr Mann trällerte im anderen Zimmer, seine Stimme war heiser. Eine Flasche fiel zu Boden, rollte weg, draußen gellte ein Befehl, jemand flehte, vielleicht um sein Leben. Gleich wird der Schuss fallen! Zugezogene Vorhänge, geschlossene Fensterläden überall. Die Märkte waren ausgestorben, an der Tür des Metzgerladens hing ein Schloss, bei den Grillbuden herrschte Stille. Die Mühlen arbeiteten nicht, die Schiffszimmerer hämmerten nicht, die Träger waren verschwunden, Kähne schlingerten leer, das gelbe Gebäude des Rathauses glich einem beleidigten Derwisch. Beim Eingang verhandelten ansässige Bürger mit österreichischen Offizieren, Haynau kam vorbei, er würdigte sie keines Blicks. Irgendjemandem fiel eine Kiste auf den Fuß, er fluchte zornentbrannt. Auf dem Rathausbalkon putzten Tauben ihr Gefieder, erschreckt flatterten sie auf, eine flog mit raschen Flügelschlägen davon, zwei kamen hinzu.
Klara fiel die kleine Schauspielerin ein, die einige Tage nachder Explosion des Munitionslagers in den noch warmen, rauchenden Trümmern gewühlt hatte. Denn nach der schrecklichen Tragödie, bei der fast tausend Menschen umgekommen und mehrere Hundert verletzt worden waren, hatte sich auch Klara zum Verbinden der Wunden gemeldet. Sie wurden über den Fluss gebracht und mussten zuerst durch die Ruine gehen. Und als sie in den Trümmern herumstaksten, erblickte sie das Mädchen. Sie konnte nicht glauben, was sie sah, das Mädchen war doch im Herbst gestorben, die Cholera hatte sie hinweggerafft! Und doch sah Klara den blitzenden Blick im verrauchten Antlitz, den weißen Rücken, den ihre zusammengestückelte Kleidung sehen ließ, sie sah die wunden Arme und Beine, die hastigen Bewegungen des Wahnsinns, während das Mädchen in den Trümmern scharrte. Ihr Mund bewegte sich, Klara konnte ablesen, was sie sagte. Sie flüsterte immer ein einziges Wort.
Mein Kind, mein Kind, mein Kind!
Adam Pallagi stand in ihrer Nähe und war so schön, dass Klara zuerst nicht wagte, näher zu kommen. Sein Gesicht war voller Schmerz und voller Wunden, trotzdem war es bleich geblieben. Um ihn herum Tote, Haufen blutigen Schutts. Vielleicht hatte Klara ihnen zugerufen. Vielleicht hatte sie nur geflüstert, doch auch das mussten sie gehört haben, jetzt sahen beide her, das verrückte Persönchen voller Hohn, Adam mit freudigem Schrecken. Und als Klara endlich auf sie zuging, begann die kleine Schauspielerin mit Adam zu zanken, sie griff nach ihm, zerrte an ihm, krallte sich in seine Kleidung. Sein Gesicht verzerrte sich, wurde drohend. Er stieß die Verrückte von sich. Das war alles, Klara wurde gepackt und fortgezogen, sie musste einen in deutscher Sprache murmelnden Alten verbinden, sein Auge war ausgeflossen. Als sie wieder weg konnte, war Adam verschwunden. Klara weinte wie ein Kind, schluchzte leise, stampfte mit den Füßen auf, sie war wirklich ein kleines Kind geworden, viele glaubten, sie jammere wegen der verstümmelten Leichen. Damals hatte Klara Adam zum letzten Mal gesehen, nun rang sie beim offenen Fenster nach Luft, sie hörte dasTrällern ihres Mannes, glaubte in diesem schrecklichen August zu ersticken. Und zugleich sah sie alles.
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