Blumenfresser
Notwendigkeit berauschte kollektive Sehnsucht in den Landtagen und im Rauch der Schlachtfelder deklariert hatte, schließlich vom ruhigen Selbstbewusstsein der einzelnen Persönlichkeit in Besitz genommen würde. Zumindest dachte Klara das. Wenn die Revolution siegte, würde der Mensch mehr Respekt erfahren, sie, ihr Mann, Doktor Schütz oder jeder beliebige andere, der einzelne Mensch allein für sich, und dann erst kämen die einzelnen Gruppierungen, der Markt, die Agora, die Menge! Das Schönste war, dass ihr auf das neue Leben blickender Glaube unschuldig war, noch keine Verletzung erfahren hatte. Um seine Unschuld zu verlieren, bedarf es einer Kränkung. Ein Verbrechen kann nur jemand begehen, der verletzt worden ist. Und es stellte sich auch bald heraus, dass sie natürlich niemals so leben würden, dennoch zeigten diese wenigen Monate, wie es wäre, würde es dank eines Wunders doch geschehen.
Diese Erfahrung war in der Revolution Klaras größter Schatz, neben einer anderen, nicht zu vernachlässigenden Entdeckung, derzufolge ein Verwundeter schöner war als einer, der unversehrt in den Kampf zog. Ihre Revolution war nicht plötzlich gekommen, dafür ermattete sie um so rascher. An den Iden des März wurde sie nach langer Pubertät ein tatendurstiger junger Mann, doch sieh da, der bekam schon Falten, konnte schon bösartig, intrigant, selbstsüchtig und grausam sein. Das tat nichts,gar nichts! Klara mochte diese Monate, sie mochte es, dass die Dahingegangenen nicht völlig vergänglich waren. Sie mochte es, dass diejenigen, die durch die Geschehnisse starben, sie irgendwie auch überlebten.
Nachdenklich blies Imre den leichten Rauch des Zigarillos aus. Soeben waren sie von Herrn Schütz zurückgekehrt, der Doktor wollte nichts und niemanden sehen, schon Ende des Vorjahres war er in Trübsal verfallen. Seitdem beschäftigte er sich nur noch mit seinen Fotografien und Steinen und vernachlässigte seine Patienten. Klara redete ihm zu, lud ihn ein, nahm ihn an der Hand, doch Herr Schütz blieb unbeugsam und vermied jeden Umgang. Dabei war die Stadt so schön! Imre betrachtete das geschäftige Treiben mit gespielter Gleichgültigkeit, wenn nicht Verachtung, doch Klara wusste, dass er genauso glücklich war wie diejenigen, die er sah, nur wollte er sich eben nicht gemeinsam mit ihnen freuen. Dann kam ihr der Gedanke, dass jedes Gesicht eine riesige Blume war, mit Blütenhüten, Knospentüchern und Kelchmützen. Nur verwelkten diese Kopfbedeckungen nach einigen Tagen der Pracht! Klara begann, ihn hinter sich her zu ziehen, als hätte sie das Ziel gefunden, und Imre ging gehorsam mit, während er von der Seite ihr Gesicht musterte.
Danke, Imre, sagte sie leise, sah ihn jedoch nicht an.
Einmal wirst du mich noch umbringen, Klara.
Ich sterbe deinetwegen. Ich sterbe daran, dass ich so leben muss.
Du machst es schon wieder kompliziert. Dabei ist es so entsetzlich einfach!
Imre lachte bitter, gerade kamen sie am Wagner-Haus vorbei, in den Fenstern schwenkten Mädchen ihre Tücher. Einem Herrn tropfte Kerzentalg auf den Mantel, er beschwerte sich lautstark, doch die Mädchen lachten nur über ihn, und weil er nicht aufhörte zu räsonieren, bewarfen sie ihn mit Pogatschen. Nicht weit entfernt stand das Haus des Apothekers Bauerfeind mit dem berühmten eisernen Balkon, von dort hatte Kossuthim Oktober letzten Jahres seine Rekrutierungsrede deklamiert, und die mitreißenden Worte hatten Imre beinahe das Leben gekostet. Klara entdeckte die hohe, hagere Gestalt des Redakteurs Kigl, er führte das große Wort, vor allem Frauen umstanden ihn und hörten andächtig zu. Klara mochte Kigl nicht, sein Lächeln war süßlich, seine Bewegungen gekünstelt, bestimmt log er ständig. Das bestürzte Gesicht des kleinen Kigl fiel ihr ein, dann sah sie, dass auch ihr Mann Kigl bemerkt hatte, er tat einen letzten Zug aus dem Zigarillo, den Stummel schnippte er in die Luft. Er griff sich an den Hals, seine Finger glitten langsam über die Narbe. Eine weiße Wurzel schien in seiner Haut eingepflanzt zu sein. Sie wusste, dass es wehtat, wenn er sie berührte, immer, doch Imre liebte diesen Schmerz. Vom Krebsz-Haus her näherte sich eine lärmende Gruppe junger Leute, die Fahnen schwenkten und andere mit sich zogen.
Klara stutzte. Ein paar Schritte entfernt stand ein junger Soldat und starrte sie an. Adams Kleidung war vernachlässigt, da und dort zerrissen, seine Stiefel hatte der Staub grau übermalt. Er sah sie an, als hätte er Glut
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