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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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in den kargen Raum drang und ihn immer weiter auskühlte.
    »Hallo? – Ja, ich rufe an, weil, das Tuch, ich ... ich habe es ... – Welches Tuch wohl? Das Grabtuch! – Ja, das von Jesus – Nein, ich will kein Geld – Ich habe es gefunden ! – Herrgott noch mal, mein Hund hat es mir gebracht – Nein, ich nehme Sie nicht auf den Arm, ich bin hier im Westflügel des Schlosses Stupinigi – Ich weiß, dass es gerade renoviert wird, ich bin zur Wolfssichtung hierherbeordert worden – Ich weiß noch nicht, ob es Wölfe gibt, ich bin eben erst eingetroffen. Das ist im Moment auch völlig egal! Mein Hund hat verdammt noch mal das vermisste Grabtuch gefunden, und wenn Sie es nicht abholen wollen, dann drück ich es dem Nächstbesten in die Hand! – Danke , dass Sie kommen wollen – Bitte, beeilen Sie sich. Mir ist ganz unwohl mit dem Grabtuch.«
    Obwohl sie aufgelegt hatte, bewegten sich ihre Lippen weiter, auf und zu ging der Mund, doch Worte kamen nicht heraus. Wäre Isabella ein Hund, Niccolò hätte sie für hungrig gehalten. Doch er spürte eine riesige Unruhe in Isabella, ein unerträgliches Warten. Sie kniete sich zu ihm, ihr Gesichtan seinen Hals gedrückt. Er leckte ihr über die Haare, als wäre sie ein Welpe.
    Canini trat langsam aus ihrer Ecke, und wie von selbst versammelte sich die kleine Runde um das Tuch. Giacomo fasste sich ein Herz und knabberte daran. Es roch nach Trüffeln, vielleicht schmeckte es ja auch danach. Aber es war wie dünnes, trockenes Brot. Keines zweiten Happens würdig. Zudem zog Isabella ihn heftig zurück. Obwohl sie auch kurz gelacht hatte, ohne das Weinen dafür zu unterbrechen. Menschen. Man wusste nie, woran man bei ihnen war. Nur bei seinem alten Herrn, dem Trüffelsucher, war es anders gewesen. Der war wie ein Hund. Wusste immer, was er wollte, und wollte nicht viel. Der Trifolao hatte auch nie seine Meinung geändert, weil es dafür einfach keinen Grund gegeben hatte. Das Leben verlief jeden Tag gleich. Er hatte sich alles längst gut überlegt und wusste immer, wie die Welt beschaffen war. Selbst sein eigener Tod hatte ihn nicht überrascht. Er hatte ihn erwartet, wie den Sonnenuntergang.
    Als Isabella das Tuch vorsichtig wieder zusammenrollte, wurde die Welt blau. Zumindest in diesem Flügel des Schlosses Stupinigi. Kurze Befehle hallten durch die Nacht, Fenster wurden mit Gewehrschäften eingeschlagen, die lädierte Eingangstür aufgetreten. Sirenen ertönten. Isabella erstarrte, Canini und Niccolò bellten.
    Doch Giacomo wollte nur noch weg. Nicht wie ein Hase in der Falle hocken. Fort von Lärm und Licht.
    Aber nicht allein.
    Irgendwie hing alles mit diesem dreckigen Tuch zusammen. Er brauchte nur Zeit zum Nachdenken. Es galt, nichts zu überstürzen.
    Außer seiner Flucht.
    Giacomo biss in ein Ende des aufgerollten Tuches, zog es aus der Tür und jagte hinaus in die tiefdunkle Nacht.
    Hinter ihm begann das Geschrei. Ein Schuss wurde abgegeben. Neben ihm stob der Schnee auf.
    Eine Männerstimme grölte. »Seid ihr wahnsinnig! Ihr könntet das Tuch treffen!«
    Dann kam der Wald und nahm Giacomo auf, umschloss ihn mit seinen Stämmen und Zweigen. Der fallende Schnee verwischte rasch die Spuren des alten Trüffelhundes und spannte ein frisches Laken über das Land. Giacomo rannte weiter und weiter, bis er keine Rufe, keine Menschen mehr hinter sich hörte. Er musste ein Versteck für das Tuch finden – und viele, viele Antworten.

 
     
    Kapitel 2
     
     
    TURINO
     
     
    A ls Amadeus erwachte, fühlte sich sein Kopf an, als schliefe noch ein großer Teil davon. Die Welt erschien schummrig, faserte an den Seiten aus, und seine Erinnerungen waren löchrig. Warum lag er hier in einer Ecke des rechten Seitenschiffs vor dem Mausoleum der Giovanna d’Orlier de la Balme? Jemand musste ihn auf eine Ausgabe der La Stampa gelegt haben, ein Teil der Zeitung war wie eine Decke über ihm drapiert. Die Kälte spürte der junge Pharaonenhund trotzdem.
    Der Duomo war nun so hell erleuchtet wie nie zuvor. Große Sonnen thronten auf metallenen Stäben, tauchten Wände, Böden und Bänke in ein einziges Gleißen. Viel weniger Menschen als vor seiner Ohnmacht befanden sich in der Kirche. Die meisten von ihnen trugen dieselbe Kleidung. Sie erinnerten Amadeus an die Männer der Stadtreinigung. Doch diese Menschen säuberten nichts, sie suchten. Ihren Blick kannte der Pharaonenhund. Einige schossen Fotos, andere gingen mit ihren Köpfen ganz nah ans Mauerwerk oder an die Türrahmen – und

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