Blut & Barolo
Tuch mit sich geschleppt hatte.
Immerhin hatten die Verfolger wegen des Neuschnees bestimmt seine Spur verloren. Und er lebte noch – aber das nahm er mittlerweile trotz seines Alters als selbstverständlich hin. Es lohnte eh nicht, sich darüber Gedanken zu machen. Viel dringender war es jetzt, Niccolò wiederzutreffen. Vielleicht begriffen sie gemeinsam besser, was da eben vorgefallen war. Niccolòs Kopf war zwar ausgesprochen klein, doch schienen sich darin sehr viele Gedanken sehr schnell bewegen zu können. Wahrscheinlich war das normal bei flinken Windhunden. Wer schnell lief und langsam dachte, würde sicher ständig gegen Laternenpfähle knallen.
Nur wie den Weg zurückfinden? Der Neuschnee ließ seine Verfolger zwar im Ungewissen darüber, wo er hingelaufen war, ihn selbst allerdings auch, woher er gekommen war. Doch Giacomo wäre kein guter Trüffelhund gewesen, hätte er sich Landschaften nicht einprägen können wie andere Hunde Kunststückchen.
Aber bevor er sich auf den Rückweg machte, würde er dieses verdammte Tuch entsorgen. Er war sich mittlerweile sicher, dass es hinter all den Problemen steckte. Vieles an dem Tuch war merkwürdig. Die schiere Größe, die Art, wie es gewebt war, diese komischen Flecken, wie von Feuer und Wasser, aber vor allem der Duft des Tuches. Er hatte nur Prisen einatmen können, doch der Geruch hatte Haken in seiner Nase geschlagen. Es war fraglos verflucht, es musste verschwinden. Also blieb ihm nur zu buddeln, durch die gefrorene Erde. Giacomo suchte sich eine Stelle, die weit genug von den Wurzeln der hohen Eichen und Fichten entfernt lag.
Trüffelhunde hatten das Graben im Blut – doch Giacomo war bedeutend enthusiastischer, wenn es darum ging, denedlen Pilz freizulegen. Als ihm die Pfoten schmerzten, beschloss er, mit dem Buddeln aufzuhören. Was für eine Trüffel tief genug war, musste erst recht für ein altes Stück Stoff reichen. Rein damit, Erde und Schnee darauf. Sollten die Würmer, Larven und Käfer es zersetzen, auf dass es niemals mehr Unheil anrichten konnte.
Und nun schnell zum Schloss. Der Trubel würde sich mittlerweile sicher gelegt haben. Der Rückweg erschien Giacomo viel länger. Er war vorsichtig, immerhin wusste er nicht, wie weit ihm seine Häscher gefolgt waren. Lauerten sie hinter den kargen Baumstämmen? Wegen des Windes im Rücken konnte Giacomo nichts vor sich erschnuppern. Er fühlte sich wie blind. Dabei war der Himmel kristallklar, und die Sterne prangten an ihm wie scharfe Zähne, die Sichel des Mondes zerschnitt das Schwarz der Nacht. Giacomo liebte es, wenn die Konturen des Waldes so hervortraten. In Nächten wie dieser war er oft mit seinem Trifolao unterwegs gewesen. Die Welt sah so frisch aus und hatte nur ihnen gehört.
Neben dem Wind erfüllten nur die Geräusche des erstarrenden Wassers in Boden, Ästen und Stämmen den Wald. Überall knackte es, so als würden die Bäume bald zerbersten. Die Temperatur schien sekündlich zu fallen. Giacomo wollte zurück ins Warme, am besten vor einen knisternden Kamin, unter sich einen dicken Wollteppich. Dann würde der Schnee schmelzen, der sich in seinem lockigen Fell verfangen hatte. Unzählige kleine weiße Bälle bedeckten Beine und Bauch wie Christbaumkugeln.
Endlich erschienen Lichter am Horizont, sie wirkten fahl unter den blitzenden Gestirnen. Er erreichte die Allee, an der sie ihn fast erwischt hatten. Dort war der Schuss gefallen, Giacomo hatte die Kugel an sich vorbeisausen gehört. Sie mochte unzählige Schneeflocken getroffen haben, doch er selbst war unverletzt im Dunkel verschwunden.
Und nun trat er aus diesem wieder hervor.
Denn vor ihm breitete sich das Schloss Stupinigi aus. Der weiße Hirsch auf dem Dach glühte im Mondschein wie ein Engel des Waldes. Ein gutes Omen. Alles war ruhig. Keine Menschen, keine Autos. Giacomo blickte sich suchend um. Niccolò war bestimmt auch geflohen und hielt sich irgendwo versteckt. Vielleicht hatte er sogar etwas Essbares mitgenommen. Es wäre schließlich nur angebracht für den jungen Hund, an die Bedürfnisse seines väterlichen Freundes zu denken!
Voller Vorfreude tat Giacomo einen weiteren Schritt in den tiefen Schnee.
Und es machte Zack.
Ein scharfes, metallisches Geräusch.
Giacomo befand sich in einer Falle. Der Schnee hatte sie verborgen, nicht einmal eine Welle war im unschuldigen Weiß zu sehen gewesen. Die Stäbe des Käfigs waren eng, sie umschlossen Giacomo von allen Seiten. Egal wie sehr er sich auch
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