Blut & Barolo
vergessen, richtig hinzuhören und unser Handeln zu hinterfragen. Immer wieder aufs Neue, mit jeder Generation. Traditionen müssen überprüft werden.«
»Klingt, als wäre alles ein Glücksfall für euch. Freut mich.« Gute Güte! Der Strom an Leckereien nahm kein Ende. Giacomo hatte Mühe, sich auf das Gespräch zu konzen trieren und nicht über den Mann mit den Cantuccini herzufallen.
»Nein, nicht alles«, sagte Amadeus. »Nara ist gestorben, das ist traurig, doch sie war alt. Und wenn sie wüsste, was sich nun verändert, wäre sie sehr zufrieden.«
»Weiß sie das denn nicht, da oben im Himmel? Warst du nicht kurz bei ihr? Als du im Sindone lagst?«
Ein großer Tanker ließ die Schiffssirene erstönen, unddie Hafenarbeiter beeilten sich, die letzten Paletten im weiß glänzenden Rumpf verschwinden zu lassen.
»Ich weiß nicht mehr viel. Nur ...«
»Sag es nicht! Ich will weiter von Trüffeln und Barolo da oben träumen können.«
Ein weiterer Pharaonenhund erschien in der Öffnung des Schiffsbauchs. Jetzt hing wieder etwas Fleisch an seinen Rippen, doch Amadeus humpelte immer noch schwer. Es war Giacomo ein Rätsel, dass er sich bei seinem Sturz durch die Eisdecke nicht noch mehr gebrochen hatte.
»Komm, mein Sohn, es geht in die Heimat.« Amadeus blickte kurz zurück, sein Vater sah die Frage in seinen Augen. »Aber beeil dich, wir legen bald ab.«
»Kommst du mal, Giacomo? Ich möchte dir gern was zeigen.«
Nur zögerlich verließ der Lagotto den festen Boden unter seinen Pfoten. Dieses Schaukeln gefiel ihm überhaupt nicht – Giacomo mochte so etwas nur, wenn er es dem Wein zu verdanken hatte. Trotzdem folgte er dem Pharaonenhund nun hinein und durch die Gänge, vorbei an unzähligen Kartons, mit durchsichtiger Folie überspannten Paletten und Säcken. Hinter den Spirelli-Vorräten lag das Sindone – und es roch immer noch nach Trüffeln. Nicht mehr nach dem falschen Duft des Öls, das Gianluca daraufgeträufelt hatte, sondern nach den weißen Prachtstücken, die Giacomo an das Paradies denken ließen. Amadeus rollte das Tuch vor ihm aus. Es hatte sich merklich verändert. Nicht durch das Wasser, kaum etwas war herausgewaschen, und es hatte auch keine Flecken hinterlassen – dank der Dachshunde, die es fachmännisch auf dem unterirdischen Heizungsgebläse des Golden Palace Hotel getrocknet hatten. Nein, die Veränderung war eine positive. Jesus war nun nicht mehr allein. Rechts unten, neben seinem Bein, war der Kopf eines Hundes zu erkennen. So schmerzverzerrt das Gesichtdes jungen Herrn, so friedlich das des Hundes. Er harrte an seiner Seite aus, selbst in diesem Leid.
»Sieht gut aus«, befand Giacomo. »Also bist du doch gestorben! «
»Nun wacht einer der Unseren auf ewig über ihn«, sagte Amadeus’ Vater stolz, als er sich zu ihnen gesellte. »Ich habe dir noch zu danken, Trüffelhund.«
»Das war doch nichts. Hab ich gern gemacht.«
Es war nur ein kleiner Umweg zu den Giardini Reali gewesen, auf dem Rückweg von der Signora. Giacomo hatte dem alten Hund etwas vorbeigebracht, weil Vierbeiner doch zusammenhalten mussten.
»Nein, es war alles. Ohne dieses Nougat wäre ich niemals zurück ins Leben gekehrt. Was war so besonders dar an?« »Es war mit Rindfleisch. Die Signora macht es für Hunde.« »Sie muss sehr viel über uns wissen.«
Doch vielleicht nicht genug, dachte Giacomo. Denn sie war nicht da gewesen, als er von ihr Abschied nehmen wollte. Weder in der Bottega di cioccolateria noch im Parco del Valentino. Einfach verschwunden, selbst ihren Duft hatte sie mitgenommen. Eigentlich durfte ihn das nicht wundern. Hunde und Abschiede gingen nicht gut zusammen. Entweder begriffen sie nicht, was los war, oder sie konnten sich nicht lösen und veranstalteten ein Heidentheater. Beides hätte nicht zur Signora gepasst.
»Sie holen die Gangway ein«, sagte Amadeus. »Wir müssen Lebewohl sagen.«
»Lasst uns so tun, als sähen wir uns morgen wieder. In Ordnung?«
Der junge Pharaonenhund brachte ihn zur bereits halbseitig verschlossenen Transportluke. »Bis morgen«, sagte er.
»Genau«, antwortete Giacomo. »Morgen geht alles weiter.«
Isabella war schrecklich froh, als sie Giacomo wieder sah,und kniete sich zu ihm, eine leicht vorwurfsvolle Schnute ziehend.
»Sie will wissen, wo du gesteckt hast«, übersetzte Niccolò. »Bell einfach nett.«
Giacomo gab sein Bestes.
»Jetzt, wo ich im Hafen bin, weiß ich gar nicht mehr, warum ich herwollte. Es ist schrecklich hier.« Isabella
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