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Blut der Wölfin

Blut der Wölfin

Titel: Blut der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Sie – wohnen Sie hier in der Gegend?«
    Wir drehten uns um und sahen einen schmerbäuchigen Mann, der dringend eine Haarbürste, Rasierapparat, Bügeleisen und Augentropfen gebraucht hätte. Ich bin mir sicher, dieser Eindruck war beabsichtigt – der typische zerknitterte Nachrichtenjäger, immer auf den Beinen, immer übernächtigt, was ihn aufrecht hielt, war das Koffein –, aber er war auch seit etwa fünfzig Jahren überholt. Man durfte wohl davon ausgehen, dass der Mann nicht gerade für das große Presse-Dreigestirn von Toronto arbeitete –
Star, Globe
und
Sun.
    »Ein paar Straßen weiter«, sagte ich mit einer unbestimmten Handbewegung.
    »Haben Sie Mrs. Ashworth gekannt?«, fragte er, den Stift stoßbereit über dem Block. »Hat da drüben gewohnt, in dem grünen Haus. Schon älter – ältere Dame. Hat allein gelebt.«
    »Ich glaube, bei diesem Picknick letzten Monat sind wir ihr begegnet«, sagte Jeremy. »Du hast dich eine Weile mit ihr unterhalten, weißt du noch, Liebling? Über ihre Rosen?« Er sah den Reporter stirnrunzelnd an. »Sie ist doch nicht verletzt?«
    »Das weiß keiner. Sie ist heute Morgen verschwunden. Und ich meine verschwunden. Der Nachbar behauptet, er hätte sie über die Straße gehen sehen, und dann … puff.«
    »Puff?« Jeremys Stirnrunzeln vertiefte sich.
    »Weg. Einfach so.«
    Wir starrten ihn an. Er wippte nach hinten auf die Fersen und genoss die Wirkung.
    »Sie hat sich wahrscheinlich verlaufen«, sagte ich und senkte dann die Stimme. »In der Gegend hier wohnen eine Menge … ältere Leute.«
    Der Reporter musterte mich finster, so als wäre er bereits zu dem gleichen Schluss gekommen, hätte aber sehr viel lieber die »Puff!«-Geschichte geschrieben als einen weiteren deprimierenden Bericht über die Auswirkungen von Alzheimer.
    »Trotzdem«, sagte ich. »Komisch ist es schon, so kurz nach dem Feuerwerk mit dem Transformator gestern Abend.« Ich sah dem Reporter ins Gesicht und versuchte nervös auszusehen. »Es gibt da doch keinen Zusammenhang, oder?«
    Ein selbstzufriedenes Lächeln. »Das weiß man nie.«
    Jeremy verdrehte die Augen. »Nein, Liebling, es gibt keinen Zusammenhang. Ein Kurzschluss in einem Transformator und eine ältere Frau, die vermisst wird. Zwei vollkommen beliebige Vorfälle, keiner davon sehr ungewöhnlich.«
    »Und die Frau mit den Unterröcken«, sagte der Reporter. »Von der haben Sie ja wohl gehört, oder?«
    »Unterröcke?«, wiederholte ich langsam.
    »Sind gestern Abend zwei Anrufe bei der Polizei eingegangen, gleich nachdem der Transformator hochgegangen ist. Da haben Leute eine Frau gesehen, die in Unterröcken diese Straße entlanggerannt ist.«
    »Wahrscheinlich eine Dame, die im Nachthemd rausgekommen ist, um nachzusehen, was los war«, sagte Jeremy. »Es muss ja ziemlich spektakulär gewesen sein.«
    Der Reporter murmelte etwas von einem Abgabetermin und stapfte davon, um sich dankbarere Gesprächspartner zu suchen.
     
    Wir waren nach Toronto zurückgekehrt, um uns zweier Dinge zu vergewissern: dass der Mann mit dem Bowler der Einzige gewesen war, der aus dem »Portal« gekommen war, und dass die Vorfälle der vergangenen Nacht außerdem keine weiteren Folgen gehabt hatten. Das mögliche Verschwinden einer älteren Dame hatte unsere Hoffnungen in Bezug auf Punkt zwei gedämpft, und dass eine Frau in Unterröcken gesehen worden war, ließ es ganz danach aussehen, als ob wir bei Punkt eins auch nicht mehr Glück hätten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich heute Nacht wahrscheinlich doch nicht in meinem eigenen Bett schlafen würde. Jeremy und ich verbrachten die nächste Stunde damit, die Gegend unauffällig abzugehen und nach einer zweiten Fährte mit dem unverkennbaren Verwesungsgeruch zu suchen. Schlimm genug, dass ich dies nicht in Wolfsgestalt tun konnte; dass Polizei und Medien das Viertel im Auge hatten, machte die Suche doppelt so mühsam. Statt einfach die Straße abzusuchen, in der der Mann mit dem Bowler aufgetaucht war, musste ich alle Straßen in der näheren Umgebung abgrasen und dabei aussehen wie eine rastlose Schwangere, die in Begleitung ihres liebenden Ehemannes einen ausgedehnten Spaziergang durch die Nachbarschaft unternahm.
    Wir hatten den größten Teil der Nebenstraßen hinter uns, als ich eine zweite Fährte fand. Den Geruch einer Frau, überlagert von Verwesungsgeruch.
    Ich ging in die Hocke und schnürte mir den Schuh zu – ein einfaches Manöver, das mir aber zunehmend schwerer

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