Blut für Blut: Thriller (German Edition)
dichte, schwarze Wimpern hatte.
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Sejr Brask erinnerte sich nicht, wie er nach Hause, geschweige denn ins Bett gekommen war. Er wachte auf und blinzelte in das grelle Licht im Schlafzimmer. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund, die Zunge war dick und sein Hals ganz trocken. Mit der Trinkerei und Ihrem Lebensstil werden Sie nicht alt werden. Früher oder später bringt Sie das um, und ich kann Ihnen garantieren, dass es eher früher sein wird. Sejr rief sich die Stimme seines Arztes ins Gedächtnis und empfand kurzfristig Reue, ein Gefühl, das sich immer dann einstellte, wenn er zu sehr über die Stränge geschlagen hatte und sich am Tag darauf kaum an etwas erinnern konnte, dafür aber ein schlechtes Gewissen hatte. Aber zum Teufel, was hatte er noch zu erwarten? Die Karriere schien definitiv vorbei, Frauen gab es keine mehr in seinem Leben, und die Familienbande, die einmal existiert hatten, hatte er selbst durchschnitten. Er erinnerte sich mit einem Druck in der Brust an Iben, seine kleine Tochter, die er vor Jahrzehnten mit einer jungen Frau, Hanne, zusammen bekommen hatte. Sie hatten fünfzehn Monate zusammengewohnt, was für ihn ein Rekord war, und dann hatte er sich doch zurückgezogen. Er hatte die konstante Erwartungshaltung, die Konformität des Alltags, das Weinen des Kindes und, was am schlimmsten war, Hannes vorwurfsvolle Blicke, die immer häufiger geworden waren, nicht ertragen. Er hatte sie eines frühen Morgens verlassen, einfach so. Hatte seinen Mantel genommen, seine Schreibmaschine und ein paar andere Habseligkeiten eingepackt und das Kind und die Frau ohne ein Wort oder einen ordentlichen Abschied in der engen Wohnung zurückgelassen. Er schämte sich noch immer, wenn er daran zurückdachte, weshalb er es nur äußerst selten tat. Er hatte immer pflichtschuldigst Unterhalt gezahlt und die ersten Jahre nach dem Bruch auch Weihnachts-und Geburtstagsgeschenke für die Tochter geschickt, doch langsam war der spärliche Kontakt im Sande verlaufen.
Sejr schwang die Beine über die Bettkante und blieb einen Moment sitzen, bis es ihm wieder besser ging; ihm war schwindelig, und es kribbelte in den Beinen, als wären sie eingeschlafen. Er richtete sich langsam auf, stand kurz schwankend da, konzentrierte sich auf einen Fleck an der Tapete und wankte vorsichtig ins Bad. Er pinkelte, zog ab und ging in die kleine Küche. Es roch sauer nach Bier und Zigaretten. Er öffnete die Kühlschranktür und betrachtete einen kurzen Moment die nahezu gähnende Leere. Da lagen nur eine Zitrone, ein halbes Paket ranzige Butter, und im Gemüsefach gammelte irgendetwas Unbestimmbares vor sich hin. Sejr seufzte und schloss die Tür wieder. Reflexartig griff er nach einem Bier aus dem Kasten neben der Küchentür, es war noch ein einziges da, hielt dann jedoch in der Bewegung inne. Gestern war etwas passiert. Es war der Mord an dieser Sozialarbeiterin, Kissi Schack, der an etwas tief in seinem Inneren gerührt hatte, an einen Gedanken, an etwas Wichtiges. Die Polizei schien im Dunkeln zu tappen. Als wüssten sie nicht, wo sie anfangen sollten. Doch das wusste er. Sejr Brask. Er würde diesen Fall aufklären. Der Mord hing mit diesem alten Fall zusammen. Von damals. Er wusste, dass er seine Notizen über den Fall irgendwo abgelegt hatte, und er spürte, wie sich ein Funken entzündete, wie die Kraftlosigkeit langsam aus seinem Körper wich und von unbekannter Energie abgelöst wurde. Er nahm das letzte Bier aus dem Kasten, öffnete es und goss den Inhalt in das schmutzige Spülbecken.
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Rebekka und Jerome standen im Erker des großen ovalen Wohnzimmers und sahen auf den Verkehr Richtung Grønningen hinaus. Das Kastell erhob sich vor ihnen, und Rebekka kam es makaber vor, dass Jerome und Liam direkt zum Tatort hinübersehen konnten, auch wenn der Wall von Bäumen und Büschen verborgen war. Jerome hatte Tee gekocht, eine Spezialmischung aus Perchs Teehandel, und ein paar selbst gebackene Kekse herausgeholt. Kurz darauf nahmen sie auf dem braunen Samtsofa Platz. Jerome goss Tee ein, und sie plauderten über dies und das.
»Ich bin nicht gerne allein, wissen Sie.«
Er sah Rebekka mit glänzenden Augen an. Er sah gealtert aus, stellte sie fest – erschöpft.
»Liam hatte etwas vor. Er ist so aktiv, geht verschiedenen Hobbys nach und trifft sich mit einer Menge Leute, und das ist auch gut, dass er etwas unternimmt. Wir können schließlich nicht hier auf dem Sofa festwachsen, obwohl ich zugeben muss, dass ich
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