Blut für Blut: Thriller (German Edition)
das am liebsten täte. Mich hierhin legen, vielleicht mit einem Buch und einer warmen Decke und nie mehr aufstehen. Ich vermisse sie so schrecklich.«
Sein Mund zitterte leicht bei dem letzten Satz, und er griff schnell nach der Tasse mit dem dampfenden Tee. Der Teelöffel klirrte gegen die Untertasse, als er trank, und Rebekka hatte den Eindruck, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Sie ahnte auch, um was es sich dabei handeln könnte, wusste aber gleichzeitig, dass ihn etwas daran hinderte, es ihr zu erzählen. Scham vermutlich. Sie musste ihm helfen.
»Ihr Verhältnis war sehr eng, soweit ich das verstanden habe. Obwohl Sie seit zwanzig Jahren getrennt waren?«
Jerome nickte. Rebekkas Gedanken kreisten um das J auf Kissis Pobacke. J für Jerome? War es so einfach, und hatte er deshalb angerufen? Wollte er der Polizei zuvorkommen, damit niemand vorschnelle Schlüsse zog?
»Ich wüsste sehr gerne, wie eng Ihr Verhältnis wirklich war.«
Einen Augenblick herrschte Stille, nur das leise Rauschen der Großstadt und das Schleudern einer fernen Waschmaschine waren zu hören.
»Es war eng, sehr eng.« Jeromes Stimme zitterte leicht und verriet starke Gefühle.
»Haben Sie miteinander geschlafen?« Rebekka sah Jerome an, der blass wurde. Einen Moment schien er auf dem Gegenteil beharren, wütend werden, leugnen zu wollen, doch dann nickte er und stellte die Teetasse vorsichtig ab.
»Das haben wir. Hin und wieder. Verstehen Sie, ich bin nicht völlig homosexuell, eher bisexuell. Ich habe Kissi immer noch sehr gern gemocht, sie geliebt und sehr attraktiv gefunden. Kissi hat auch nie aufgehört, mich zu lieben. Das hat sie oft gesagt. Du wirst immer der Mann meines Lebens sein, Jerome .«
»Sie hat Sie so geliebt, dass sie sich ein J auf die Pobacke hat tätowieren lassen?«
Jerome lachte laut auf.
»Das hat sie. Das war typisch Kissi, sie hatte oft so verrückte Einfälle. Herrgott noch mal, die Tätowierung ist winzig. Glücklicherweise. Ich mag so etwas eigentlich nicht, aber Liam hat auch ein paar, und na ja, man gewöhnt sich daran, obwohl ich Tätowierungen eigentlich geschmacklos finde.«
»Was denkt Liam darüber, dass Sie und Kissi hin und wieder miteinander geschlafen haben?«
»Er weiß es nicht. Und ich möchte betonen, dass es nur selten vorgekommen ist, äußerst selten. Höchstens ein paarmal im Jahr. Meistens haben wir nur eng nebeneinander gelegen. Das hat sie geliebt. Sie hatte ja nach unserer Scheidung kein länger anhaltendes Verhältnis mehr. Nicht dass sie keine Gelegenheit gehabt hätte, die hatte sie bestimmt. Sie war attraktiv und klug und noch dazu bekannt, und sie hatte auch diverse kürzere Beziehungen, aus denen aber nie etwas Ernstes geworden ist. Sie hat den physischen Kontakt zu einem anderen erwachsenen Menschen in ihrem Alltag vermisst, nun ja, und da hat sie mich eben ein paarmal angerufen, und in der Regel bin ich dann zu ihr gegangen, wir haben eine Flasche Wein getrunken und geredet und gelacht. Wir haben viel gelacht.« Jeromes Stimme brach bei der Erinnerung, und er biss sich fest auf die Lippe.
»Wer wusste von Kissis Tätowierung?«
»Niemand. Sie war schließlich an einer äußerst intimen Stelle. Ich glaube nicht, dass jemand etwas davon gewusst hat, auch die Kinder nicht.«
Rebekka schwieg. Ihr brannte die Frage auf der Zunge, inwieweit Liam etwas davon gewusst hatte, doch sie beschloss, nichts zu sagen und Jerome einfach erzählen zu lassen. Die meisten Menschen konnten Schweigen schwer ertragen, es machte sie unruhig und führte oft dazu, dass sie selbst zu reden begannen und in der Regel mehr erzählten, als sie eigentlich wollten.
»Liam wusste nichts davon, falls Sie sich das gefragt haben«, brach es aus Jerome heraus. Er sah Rebekka nervös an, die als Antwort nur eine Braue hochzog.
»Und falls er es gewusst hat, was ich bezweifle, würde er niemals …«
»Eifersucht ist eins der heftigsten Gefühle, zu denen wir Menschen fähig sind.«
»Liam würde niemals so etwas tun. Niemals. Es mag schon sein, dass er brutal aussieht, er hat den schwarzen Gürtel in Karate, aber in seinem tiefsten Inneren ist er der sanfteste Mensch, den ich kenne. Das andere ist reine Fassade.«
»Wie lange kennen Sie sich?«
»Wir haben uns vor knapp zwanzig Jahren auf dem Rådhusplads kennengelernt. Liam hatte ein turbulentes Leben hinter sich, war einem schlechten Unterklasseleben in Manchester entflohen, in Europa herumgereist, aber bereit für einen Partner, einen
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