Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Lebensgefährten. Wir haben uns zufällig vor dem Kiosk auf dem Rådhusplads getroffen. Ich wollte Zigaretten kaufen, wir sind ins Gespräch gekommen, er ist mit mir nach Hause gegangen und hat mich nicht mehr verlassen. Seitdem sind wir zusammen.«
Rebekkas Telefon brummte, doch sie ignorierte es. Es war vermutlich Reza, aber er musste warten, bis sie Zeit hatte, sie wollte das Gespräch mit Jerome noch nicht abbrechen. Sie näherten sich gerade etwas Wichtigem.
»Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Liam beschreiben?«
Jerome lächelte bei der Frage, in seine blassen Wangen kam Farbe und in seine Augen wieder Leben.
»Wir haben es einfach wunderbar zusammen. Liam hat alles, was ich mir von einem Partner erträumt habe: Humor, Witz, Phantasie und Energie.«
Er lachte leise bei dem Gedanken an seinen Lebensgefährten, und Rebekka musste angesichts seiner Freude lächeln.
»Wie haben Ihre Kinder Liam seinerzeit aufgenommen?«
»Ach, wissen Sie, ich habe Liam einige Monate nach der Scheidung kennengelernt, die Wunden waren also noch nicht verheilt, und vor allem Thomas war in den ersten Monaten, vielleicht sogar Jahren sehr reserviert. Aber es war auch nicht leicht für sie, einen Vater zu haben, der sich geoutet hat – das ist mir vollkommen klar, deshalb habe ich Liam einfach gesagt, dass er sich keine Gedanken machen soll und dass wir ihnen Zeit lassen müssen. Es ist so gekommen, wie ich vorausgesagt habe, und heute kommen die Kinder gut mit Liam zurecht.«
»Wie ist Ihr Verhältnis zu Marie-Louise und Thomas?«
Jerome runzelte kurz die Stirn, bevor er antwortete.
»Ach, sie sind mir inzwischen so fern. Haben Sie selbst Kinder?«
Rebekka schüttelte den Kopf, und Jerome seufzte leicht, bevor er fortfuhr: »Es ist wunderbar, Kinder zu haben, wenn sie klein sind. Ich habe meine Kinder in vollen Zügen genossen, ich habe mir immer Kinder gewünscht, und deshalb habe ich wohl auch geheiratet, trotz meiner … Veranlagung. Aber wenn sie größer werden, entfernt man sich voneinander. Ich habe kein schlechtes Verhältnis zu ihnen, überhaupt nicht, wir sehen uns ein paarmal im Monat, aber ich stehe ihnen auch nicht so nahe, nicht so wie Kissi.«
Er seufzte erneut, und Rebekka wusste, dass es viel Mut bedurfte, um das zuzugeben.
»Was ist mit den Enkelkindern?«
Jerome erhob sich mühsam vom Sofa und ging mit steifen Schritten zu dem Flügel in der Ecke des Wohnzimmers hinüber. Auf dem Flügel standen einige Fotos in dicken Silberrahmen, von denen er Rebekka einige reichte. Ein schüchterner Junge von zehn, elf Jahren sah sie von einem der Fotos direkt an. Er war blass, und seine Augen lagen tief in den Höhlen und blickten seltsam traurig. Jerome zeigte auf das Bild.
»Das ist Louis, der Sohn meiner Tochter. Er ist zwölf, und wenn wir uns sehen, haben wir es schön miteinander. Er ist so ein ruhiger, sanfter Junge, ja, das sieht man ihm fast schon an, nicht wahr?«
Rebekka nickte und betrachtete das nächste Bild von einem kleinen Mädchen mit Sommersprossen und einem schelmischen Lachen. Rebekka erkannte sie sofort. Das war Nelly, Thomas’ Tochter.
»Nelly ist Großvaters Mädchen. Sie ist ein richtiger Wildfang, sie kommt nach ihrem Vater, ist charmant und hat viel Phantasie. Leider sehe ich sie viel zu selten, sie wohnt mit ihrer Mutter in Århus. So etwas passiert bei Scheidungen, aber ich bin wohl der Letzte, der mit erhobenem Zeigefinger daherkommen sollte.« Jerome überließ Rebekka die Bilder, während er ihnen mit ruhiger Hand Tee nachschenkte.
»Sie müssen wissen …« Jerome kam ins Stocken und nestelte an der Serviette in seinem Schoß herum.
»Ja?« Rebekka sah ihn aufmerksam an, während sie die Rahmen vorsichtig auf den Sofatisch legte.
»Es war nicht alles nur heiter.« Jerome räusperte sich laut, bevor er fortfuhr: »Die Menschen um Kissi haben immer nur ihre heitere Seite gesehen, und das wollte sie auch so, das Dunkel haben sie nie gesehen.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass Kissi depressiv war?« Rebekka dachte kurz an die vielen Schachteln mit Beruhigungstabletten, die Reza in Kissis Badezimmer gefunden hatte.
Jerome schüttelte entschieden den Kopf.
»Das war sie nicht, überhaupt nicht – aber sie hat etwas Dunkles in sich entwickelt. Wir haben nie darüber gesprochen, Kissi wollte nicht. Ich bin mir nicht klar darüber, ob es die Trauer über unsere Scheidung war oder etwas anderes. Ich weiß nur, dass es wie ein schwarzer Schatten war, den sie mit sich herumtrug. Hin
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