Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Interesses tat sie es nur alle Jubeljahre. Die Energie reichte selten für mehr als für die Arbeit und ihre Joggingrunden. Oft war es Dorte, die sie dazu überredete, sich aufzuraffen, und die ihr nahebrachte, was jetzt modern war. Hin und wieder fuhren sie nach Louisiana, und Dorte schlug auch des Öfteren spontan vor, ins Konzert oder ins Kino zu gehen, obwohl auch sie mit ihrem Job als Krankenschwester im Traumazentrum des Reichskrankenhauses, ihrem Mann, Hans-David, und ihren beiden Kindern, Alma und Anton, reichlich zu tun hatte. Rebekka rief Dorte auf dem Weg zur Glyptothek schnell an, damit sie es nicht wieder vergaß. Dorte nahm nach mehrmaligem Klingeln ab, und Rebekka hörte sofort, dass etwas absolut nicht stimmte. Dorte, die normalerweise froh und energisch war, klang müde und mutlos, und Rebekka konnte kaum fragen, was los war, als die Freundin auch schon heftig schluchzte. Mit vom Weinen erstickter Stimme erzählte sie, dass sie und Hans-David einen heftigen Streit gehabt hatten, wie das in den letzten Monaten im Übrigen immer öfter vorgekommen war, und dass sie im Moment keine gemeinsame Zukunft für sie sah, wenn sie nicht bald ihre Probleme lösten. Rebekka spürte einen Kloß im Hals und versuchte, etwas Tröstendes zu sagen. Sowohl Dorte als auch Hans-David bedeuteten ihr unglaublich viel, das Paar und ihr gemütliches kleines Haus in der Olufsgade in Østerbro waren über Jahre ihre feste Bastion gewesen. Sie verabredeten sich auf einen schnellen Kaffee am selben Abend, wenn Rebekka es schaffte, ihn in ihrem vollen Programm unterzubringen.
Kurz darauf stand sie im Café der Glyptothek, das wie eine fruchtbare Oase mitten in dem Museum lag. Reza winkte ihr aus einer Ecke des Cafés zu, und sie arbeitete sich zwischen kleinen, runden Tischen mit plaudernden Menschen zu ihm durch. Auf dem Tisch standen Wasser, Brot und Oliventapenade.
»Es wird dir gefallen, was ich dir jetzt erzähle«, sagte sie und hängte ihre Tasche über den Stuhl. »Ich habe gerade mit Kristine Berg gesprochen, der jüngeren Sozialarbeiterin in Lundely, und sie hat mir erzählt, dass Kasper offenkundig an Kissi interessiert war und dass er geradezu auf Frauen steht, die älter sind als er. Dann hat sie erwähnt, dass eine frühere Freundin ihn wegen Körperverletzung angezeigt hat. Das ist die Anzeige, die fallen gelassen wurde.«
Reza hob fast vom Stuhl ab.
»Ich habe es gewusst, und was für ein seltsamer Zufall, dass du ihn gerade jetzt erwähnst.« Reza sah sie freudestrahlend an und fügte hinzu: »Super hat nämlich gerade angerufen, wir haben auch einen Tipp in Bezug auf Kasper Rosenstand bekommen.«
»Was sagst du da?«
»Wir haben von einem älteren Ehepaar, das Kissi Schack gegenüberwohnt, einen Tipp bezüglich Kasper Rosenstand bekommen. Sie haben angerufen, weil ihnen eingefallen ist, dass sie am Mittwoch zu der Zeit, als sie ermordet wurde, einen Mann gesehen haben, der um Kissis Haus herumgeschlichen ist.«
»Das ist nicht wahr. Konnten sie den Mann ausreichend beschreiben?«
»Und ob sie das konnten. Wie sich herausgestellt hat, ist der Nachbar Porträtmaler und kann sich sehr gut an Details erinnern. Hör zu: ein Mann Anfang dreißig, helles, struppiges Haar, ein Schönheitsfleck auf der linken Wange, muskulös gebaut, in einem dunkelblauen Jogginganzug der Marke Adidas und neongelben Laufschuhen. Erinnerst du dich an sie? Die lagen in der Diele, als wir ihn besucht haben.«
Rebekka war sprachlos, die Beschreibung passte auf Kasper Rosenstand, und die neongelben Laufschuhe in seiner Diele waren ihr durchaus aufgefallen, als sie ihm am Vortag einen Besuch abgestattet hatten. Sie rieb sich die Augen, der Kopfschmerz lag noch immer auf der Lauer, die Schmerztabletten hatten ihm nur die Spitze genommen. Sie bestellten jeder einen Salat, allein der Gedanke an warmes Essen war in dieser Hitze unerträglich.
Es war interessant, dass man Kasper Rosenstand gesehen hatte, wie er an dem Mittwochabend, an dem Kissi ermordet wurde, um ihr Haus geschlichen war. Hatte er sie nur besuchen wollen oder hatte er sie bereits oben auf dem Kastell umgebracht und war dabei gewesen, die Spuren zu beseitigen?
»Das ist ein enormer Durchbruch. Da muss ich wohl alles zurücknehmen.« Sie hob ihr Wasserglas und stieß mit dem Kollegen an, der breit lächelte. »Wir könnten eine Gegenüberstellung anberaumen.«
Reza nickte eifrig. »Genau meine Worte, und jetzt rat mal, wer genau in diesem Moment das ältere Ehepaar
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