Blut für Blut: Thriller (German Edition)
angrenzenden Seitenstraße. Die Nachmittagssonne ließ den Asphalt in der Hitze flirren, der Geruch der Stadt war fremd und würzig, als hätte Kopenhagen sich in eine südländische Stadt verwandelt. Rebekka war schwindelig und müde. Sie bot Reza an, Cola und Lakritz vom Kiosk zu holen, und er ging ins Büro vor. Rebekka bog um die Ecke und betrat den kühlen Kiosk, dessen Klimaanlage auf höchster Stufe lief. Sie stand lange vor den Regalen mit den Wochenzeitschriften, nicht weil die Geschichten sie interessierten, sondern weil sie gut denken konnte, wenn ihre Augen auf etwas Uninteressantem ruhten. Sie griff nach Lakritz und Cola und bezahlte, während sie mit dem Kioskbesitzer ein paar Worte über die tropische Hitze wechselte. Vor dem Kiosk blieb sie einen Moment stehen, schraubte die Cola auf und trank einen Schluck. Sie warf einen Blick auf ihr Handy und stellte fest, dass in den zwei Stunden, die sie bei dem Ehepaar Hamad verbracht hatten, neun Nachrichten eingegangen waren. Der Druck im Magen wuchs, und sie spürte, wie ihre Schultern sich verspannten. Sie ging gerade an einem Torweg vorbei, als ein dunkler Schatten vor ihr auftauchte und sie einen erschrockenen Schrei ausstieß. Dann erkannte sie die verschleierte Frau: Es war Ayse Assaf, Mohammad Assafs verschüchterte Frau. Die verschleierte Frau trat dicht an Rebekka heran.
»Mohammad hat sie nicht umgebracht, diese Kissi. Darauf schwöre ich bei Allah. Er ist unschuldig.« Ayse sah Rebekka eindringlich an.
»Ihr Mann, Mohammad, hat Kissi Schack wiederholt bedroht, deshalb mussten wir ihn genauer unter die Lupe nehmen.«
»Mohammad hat ein furchtbar hitziges Temperament, aber ich weiß, dass er sie nicht umgebracht hat.«
»Davon gehen wir auch nicht länger aus.«
Die schmächtige Frau nickte ernst.
»Warum sind Sie zu ihm zurückgegangen?« Rebekka sah ihr direkt in die Augen. Sie waren noch immer blutunterlaufen und leicht geschwollen, doch die Frau hielt ihrem Blick ruhig stand.
»Ich liebe ihn.« Der Satz kam in fehlerfreiem Dänisch.
»Ich hatte den Eindruck, Sie haben Angst vor ihm.« Rebekka trat einen Schritt näher an die Frau heran, die ihrerseits erschrocken einen Schritt zurückwich.
»Ich liebe ihn«, wiederholte sie, und Rebekka war überzeugt, dass der Satz einstudiert war, vermutlich von Mohammad selbst.
»Es muss nicht so laufen. Sie können Hilfe bekommen.«
»Sie verstehen das nicht.«
»Doch, das tue ich. Ich kann Ihnen helfen. Es gibt ein anderes Leben für Sie, ein besseres Leben, auch für die Kinder.«
Langsam schüttelte die Frau den Kopf und wich noch einen Schritt zurück.
»Warten Sie, Kissi Schack hat auf einem Block, den wir bei ihr zu Hause gefunden haben, den Namen Ayse notiert. Sind Sie diese Ayse?«
Die Frau antwortete nicht.
»Das ist wichtig«, sagte Rebekka und sah sie eindringlich an. »Kennen Sie eine Haleema Hamad?«
»Nein, die kenne ich nicht«, antwortete Ayse schnell. Dann drehte sie sich um und eilte die Straße hinunter.
Rebekka blieb noch einige Minuten auf dem Bürgersteig stehen und schaute ihr nach, bis die Frau aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
____
Sie wollte gerade die Tür zu ihrem Büro aufmachen, als sie hinter sich Schritte hörte. Am anderen Ende des blutroten Gangs tauchte Reza zusammen mit Kasper Rosenstand auf.
»Ich habe Kasper Rosenstand gleich mitgebracht. Das ältere Ehepaar, das Kissi Schack gegenüberwohnt, hat ihn eindeutig als denjenigen identifiziert, der sich am 18. Juni in der Nähe ihres Hauses herumgetrieben hat …«
»Ich habe damit nichts zu tun.« Kaspers Stimme war schrill, und er starrte Rebekka verzweifelt an. Eine Ader pumpte rhythmisch auf seiner Stirn, und sein weißes T-Shirt war schweißdurchtränkt. Es war offensichtlich, dass er Angst hatte, und Rebekka legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Ganz ruhig, Kasper. Wir müssen nur ein paar einfache Dinge klären. Möchten Sie etwas zu trinken?«
Im Büro war es schwül. Reza öffnete ein Fenster, und Rebekka holte ein paar Weingläser aus einer Ikea-Schachtel, in die sie Wasser goss. Die mussten es tun. Sie warf Kasper einen freundlichen Blick zu und versuchte, die unangenehme Situation so angenehm wie möglich zu gestalten.
»Ich verstehe sehr gut, dass Sie das alles nervös macht, und deshalb rate ich Ihnen, uns schnellstmöglich die Wahrheit zu sagen. Erzählen Sie uns von Mittwoch, dem 18. Juni, Kasper. Es wird Ihnen sehr viel besser gehen, wenn Sie uns die Wahrheit sagen. Das
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