Blut für Blut: Thriller (German Edition)
»Sie arbeiten ja eng mit ihm zusammen. Erleben Sie ihn auch als einen Menschen, der sich schnell aufregt und seine Gefühle nur schwer im Griff hat?«
»Ich weiß es nicht. Ich beobachte ihn ja nicht während der Arbeit. Ich wollte Ihnen auch nur erzählen, was ich weiß«, schniefte sie, »vielleicht hilft es Ihnen ja.«
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»Vater geht es so schlecht, Rebekka, ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Rebekka hatte gerade ihr Gespräch mit Kristine Berg von Lundely beendet, als ihre Mutter anrief. Ihre Stimme klang klagend, und Rebekka musste das Handy ein gutes Stück vom Ohr weghalten, damit sie nicht in den Ohren wehtat.
»Wo ist Vater jetzt?«, fragte sie, während sie die Stirn gegen die kühle Wand lehnte und dem tränenerstickten Bericht ihrer Mutter über die zunehmenden Atembeschwerden ihres Vaters lauschte. Er mochte nicht länger in seinem Lieblingssessel im Wohnzimmer sitzen, sondern bestand darauf, im Schlafzimmer in seinem Bett liegen zu bleiben. Dann war es ernst, das wusste sie, denn ihr Vater hatte den Sessel geliebt, seit die Eltern die Ledergruppe vor mehreren Jahrzehnten im Ausverkauf erstanden hatten.
»Mutter, du solltest den Arzt rufen«, schlug sie vor und massierte sich die schmerzende Stirn. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie so weit von ihnen entfernt wohnte und nicht die Möglichkeit hatte, eben einmal bei ihnen vorbeizuschauen und sich um sie zu kümmern. Ihre Mutter versprach, einen Arzt zu rufen und sich zu melden, sobald er dagewesen war.
Rebekka wollte gerade in ihr Büro gehen, als die Tür aufging und Reza vor ihr stand. Hinter ihm schulterte Anne Munk ihren großen Rucksack.
»Ich bringe sie runter und hole uns etwas zu essen.«
Rebekka wollte protestieren, als Reza den Finger auf den Mund legte und flüsterte: »Ssst, kein Protest. Setz dich einfach hin, und gib deinem Kopf ein paar Minuten Ruhe, ich habe das Fenster aufgemacht.«
Rebekka warf ihm einen dankbaren Blick zu, verabschiedete sich von Anne Munk und lehnte sich mit geschlossenen Augen auf dem Bürostuhl zurück, während Kopfschmerzen anfingen, sie zu quälen.
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Sejr schnalzte zufrieden mit der Zunge. Er war sich inzwischen todsicher. Gerade war er systematisch das Material über die Vergewaltigung und den Mord an der damals neunzehnjährigen Charlotte B. Hansen im Jahr 1988 sowie seine Notizen zum Mord an Kissi Schack durchgegangen. Es war derselbe Täter. Das Motiv war einleuchtend, und er begriff nicht, dass die Polizei nicht sah, was er sah. Er konnte seine Begeisterung kaum zügeln und verspürte den unwiderstehlichen Drang, im Polizeipräsidium anzurufen und ihnen seine Theorie zu unterbreiten, doch dann besann er sich eines anderen. Dort gingen die ganze Zeit massenhaft Tipps ein, und er war sich sicher, dass man nur seinen Namen aufschreiben, seine Theorie aber nicht ernst nehmen würde. Der Einzige, mit dem er zusammenarbeiten wollte, war Jarler. Sie mussten sich einen Plan zurechtlegen, und dann würde er, Sejr Brask, die Beweise, am besten ein Geständnis, liefern und sich im Rampenlicht sonnen, wenn die Zeit gekommen war.
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» Surprise . Du musst herunterkommen.« Rezas begeisterte Stimme tönte durch das Telefon, das Rebekka verwirrt drüben auf dem Besprechungstisch entdeckt hatte, nachdem sein Klingeln sie geweckt hatte. Sie sah auf die Uhr, sie musste eine Viertelstunde gedöst haben.
»Eigentlich habe ich hier auf dich und das Mittagessen gewartet.« Sie gähnte und streckte sich müde, die Kopfschmerzen pochten heftig.
»Ich habe uns den besten Tisch im Café der Glyptothek ergattert. Ich lade dich ein, beeil dich.«
Reza legte auf, bevor Rebekka protestieren konnte, und sie musste unwillkürlich lächeln. Sie holte eine Packung Paracetamol aus der Tasche und schob sich zwei Tabletten in den Mund, die sie ohne Wasser hinunterschluckte. Dann spazierte sie in die sommerliche Hitze hinaus.
Die Glyptothek lag nur einen Steinwurf vom Präsidium entfernt. Es kam selten vor, dass Rebekka Zeit hatte, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besuchen, und sie war auch erst einmal im Museum gewesen, als ein früherer Freund sie dorthin eingeladen hatte. Nicht weil ihn die Sammlung des Museums so interessierte, sondern weil er ihr ganz offenbar imponieren wollte. Sie dagegen liebte die vielen kulturellen Angebote der Stadt, sie ging gerne ins Museum, sah sich eine interessante Ausstellung an, hörte Musik oder ging einfach ins Kino, um einen guten Film zu sehen – doch trotz ihres
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