Blut im Schnee
er noch gar nicht die Gelegenheit gehabt, Clemens anzurufen. Kriminalrat Clemens, um genau zu sein. Der war der Oberboss, wenn man so wollte. Die Leitung der SoKo ‚Kevin‘ hatte der jedoch Joachim übertragen.
Kaum dass er die Jacke ausgezogen hatte, kamen die ersten Kollegen schon auf ihn zu und versorgten ihn gleichzeitig mit allen möglichen Informationen. Der Pathologe wurde verständigt und käme wie so häufig von der Uniklinik in Mainz angereist … Spuren habe man bisher keine entdeckt, vielleicht ergäbe die Untersuchung der Kleidung des Toten noch etwas … Die SoKo wäre von dreißig auf vierzig Mann verstärkt worden … Das Umfeld der ersten beiden Opfer würde erneut unter die Lupe genommen, um vielleicht doch noch eine Verbindung zwischen ihnen zu finden … Der toxikologische Bericht des zweiten Opfers sei eingetroffen und auch bei ihm hatte man Spuren von Midazolam gefunden – der Täter schien leichtes Spiel zu haben, weil er den Opfern Benzodiazepine einflößte, die landläufig als K.o.-Tropfen bekannt waren …
Mit einer Handbewegung stoppte er die verschiedenen Ausführungen, ehe der Redefluss in einem Durcheinander von Worten endete, die keiner mehr verstehen konnte.
„Ich weiß, dass die Zeit drängt, aber ich bin gerade erst zur Tür reingekommen. Hat jemand ein Foto des jüngsten Opfers parat?“
„Die Tatortbilder hab ich hier!“, rief ihm jemand zu, der ihm unbekannt war. Der Mann kam auf ihn zu und hielt einen Packen Bilder in der Hand. „Michael Huber, K1“, stellte er sich vor, noch ehe er Joachim erreichte.
„Die Bilder meinte ich nicht. Oder soll ich zum Deutschen Hof fahren, denen ein Bild vorlegen, wo dem Toten noch der Schwanz im Mund steckt und fragen: Hey, kennen Sie den? War der gestern Abend hier?“
Huber blieb wie angewurzelt stehen und nuschelte etwas Unverständliches. Joachim rieb sich über die Stirn. Sein Nervenkostüm war anscheinend nicht das Beste. Mit einer fahrigen Geste machte er seine Entschuldigung deutlich, während Birgit mit dem Ausdruck des Führerscheinfotos auf ihn zukam.
„Hier“, sagte sie. „Wir sind alle etwas gereizt“, fügte sie etwas leiser an.
Er seufzte. „Danke. Ist noch Kaffee da? Und, gibt es was Neues, was uns einen Schritt weiter bringt?“
Weiter hinten im Raum schwenkte ein junger Kollege die gefüllte Glaskanne und beantwortete damit Frage eins.
„Na ja, die beiden ersten Toten waren – anhand der nachgewiesenen Menge Midazolam – zumindest so weit betäubt, dass Gegenwehr wohl nicht mehr möglich war. Das wird bei dem von letzter Nacht sicher nicht anders sein. Diese Mittel kriegt man ja nicht einfach so. Ich will deshalb mit Jäckels zusammen die Apotheken abklappern“, erklärte ihm Pit.
Joachim nickte dem Kommissar zu, den er schon viele Jahre kannte und schätzte. „Fragt auch in den Krankenhäusern nach, so häufig wird das Dormicum ja nicht mehr von Ärzten verschrieben. Im Krankenhaus nutzen die das allerdings weiterhin vor Operationen. Vielleicht fehlt etwas im Bestand“, wies er an. Pit stimmte zu, während er sich aus der Kaffeekanne bediente.
„Noch was?“, fragte er in die Runde und nahm die Tasse entgegen, die ihm kurz darauf von Pit hingehalten wurde.
„Nichts, was wir nicht schon wussten“, entgegnete Birgit.
Was nicht besonders viel war, wie Joachim zugeben musste. Das erste Opfer war in der Nacht seines Todes im Treff 39 gewesen. Früher war das Lokal als ein reiner Treffpunkt für Schwule bekannt, heute spielte die sexuelle Orientierung der Gäste kaum mehr eine Rolle – weder für diese, noch für die Betreiber. Der Fundort war nicht weit entfernt, dennoch hatte niemand etwas gesehen oder gehört. Es war nicht nachvollziehbar, was geschehen war, nachdem der Mann den Treff verlassen hatte. Streit hatte es keinen gegeben und gegangen war er allein.
Das zweite Opfer wurde in der Grünanlage der Nordallee gefunden. Anhand der Kinokarte in seiner Jackentasche war schnell klar geworden, dass dieser vor seinem Tod im Broadway Filmtheater gewesen war. Zur Spätvorstellung, allein. Auch da keine Zeugen, keine Hinweise am Tatort. Nichts schien die beiden zu verbinden, außer der Todesursache und dem Umstand, dass sie schwul gewesen waren. Beide verbluteten, nachdem man ihnen die Genitalien abgeschnitten hatte. Ab dem Moment war klar geworden, dass sie es mit einem Serientäter zu tun hatten, der mit Sicherheit wieder zuschlagen würde, sollten sie nicht schnell etwas in der Hand haben, um
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