Blut im Schnee
ihn dingfest zu machen.
Jetzt galt es, die letzten Stunden von Martin Brauer zu rekonstruieren. Nachdem Joachim auch von dessen Homosexualität erfahren hatte, vermutete er stark, dass der Täter homophob war. Er fragte sich, was den Killer dazu veranlasst hatte, sich auf diese brutale Weise an schwulen Männern zu vergehen. Irgendeinen Grund hatten sie alle, auch wenn es für einen geistig gesunden Menschen klar war, dass viele der Gründe keinesfalls einen Mord rechtfertigen würden. Ehrgeiz packte ihn. Er würde alles tun, um die Ermittlungen voranzutreiben und diese Mordserie zu beenden. Auch wenn das hieß, dass er sein Büro zu seinem zu Hause machte – es spielte keine Rolle. Bei ihm wartete nach der Arbeit keiner auf ihn.
***
Thorsten ließ Kim weinen. Tröstend in den Arm nehmen konnte er sie nicht, dafür war er selbst zu sehr mit Schmerz erfüllt. Tausend Dinge schwirrten ihm im Kopf herum. Martins Firma, eine Werbeagentur, die er im Nachbarland Luxemburg betrieb, musste benachrichtigt werden. Seine rechte Hand Theresa müsste sich um alles kümmern, was das Geschäftliche anging. Martins Auto, das Haus … Thorsten wusste gar nicht, ob er hier bleiben konnte. Er hatte keine Ahnung, wie viel von dem ursprünglichen Preis noch abzuzahlen wäre. Mit seinem Gehalt konnte er sich die Rate sicher nicht leisten, auch wenn er nicht schlecht verdiente. Er mochte die Stadt, die ganz anders war als Köln, und er mochte die Leute in der Nachbarschaft. Nur ungern würde er all dem den Rücken kehren.
Schließlich stand er auf und drückte Kim kurz. „Kannst du hier bleiben?“
„Wenn du das möchtest“, erwiderte sie mit zitternder Stimme.
„Ich kann nicht allein sein. Es ist alles so unfair … ich muss Theresa anrufen.“
„Thorsten, es ist Sonntag und gerade mal neun Uhr. Willst du jetzt echt da anrufen?“
Er setzte an, um zu antworten, klappte stattdessen aber den Mund wieder zu. Kim steckte sich eine neue Zigarette an.
„Kann ich eine haben?“
„Klar. Ich wusste gar nicht, dass du rauchst“, sagte sie erstaunt und hielt ihm die Schachtel hin.
„Nicht mehr. Habe es aufgegeben, als ich Martin kennenlernte. Er mochte es nicht.“
Sie nickte bloß und Thorsten griff sich einen der Sargnägel. Es hatte Zeiten gegeben, da brauchte er zwei Packungen am Tag. Als er den Filter zwischen die Lippen klemmte, war das Gefühl sofort vertraut. Anders als der Rauch, den er tief inhalierte. Er schmeckte widerlich und zwang ihn zu husten, dennoch nahm er einen zweiten Zug. Jetzt noch einen Whisky dazu und er hätte die perfekten Seelentröster in der Hand. Dieser Gedanke ließ ihn sarkastisch auflachen. Er fühlte sich so leer und verloren, dass er glaubte, sich mit Hochprozentigem und Nikotin davon ablenken zu können!
„Was ist?“
„Weißt du, ich hab mir gerade noch einen Whisky dazu gewünscht und meine Tröster wären komplett. Alkohol und Zigaretten, zwei der Dinge, die Martin nicht ausstehen konnte“, erklärte er, „und kaum ist er weg, greife ich zu. Wie früher.“
„Wer könnte dir das verübeln?“
Er zuckte mit den Schultern und inhalierte ein weiteres Mal den aromatisch riechenden Rauch, der in seiner Lunge brannte. Nach dem nächsten Zug wurde ihm schwindelig, weshalb er die zur Hälfte gerauchte Zigarette unter dem Wasserhahn löschte und die Kippe in den Mülleimer warf. Kim hantierte unterdessen an der Bar im Wohnzimmer und kam mit zwei Gläsern zurück.
„Die Bar ist gut sortiert und siehe da, Whisky hab ich auch gefunden.“
„Ich habe das eben nicht ernst gemeint …“, wehrte er ab.
„Jetzt quatsch nicht Herzchen, trink. Das beruhigt.“
Thorsten nahm das Glas und kippte dessen Inhalt in einem Zug herunter. Die Wärme, die sich daraufhin in ihm breitmachte, hatte tatsächlich etwas Tröstendes. Das angenehme Gefühl hielt nur kurz an und machte deutlich, wie falsch die Annahme war, man könne seine Probleme in Alkohol ertränken. Bis auf die Ausnahmen, wenn er beim Essen mit Martin mal ein Glas Wein getrunken hatte, gehörte Alkoholisches nicht mehr zu seinem Alltag. Das war, wie das Rauchen, ein Teil seines alten Lebens, wenngleich er auch nie abhängig davon gewesen war. Bier trank er selten und Kölsch schon gar nicht – was in Anbetracht der Tatsache, dass Köln seine Geburtsstadt war, schon einer Sünde glich.
Seine Wirkung verfehlte der Alkohol allerdings nicht, zumal Thorsten vorher nichts im Magen gehabt hatte. Es fühlte sich leicht schwindelig, was
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