Blut Licht
Kleidung leihe?“, rief Jason mir nach.
Ich verharrte mit einem Fuß auf der unteren Stufe. „Militärbekleidung?“
Er nickte grinsend. „Die komplette Ausrüstung. Ich habe stets zwei dabei. Die Hose müsstest du Umschlägen, aber die Weite sollte halbwegs passen. Zusätzlich ist ein Gürtel vorhanden.“
„Wie zweckmäßig“, erwiderte ich mit einem dumpfen Gefühl in der Magengegend. „Worauf warten wir noch, Jason? Leg es mir heraus, ich bin gleich da.“
Ich fand Shekinah auf einem der Kissen, wo sie mir wartend entgegensah und mit der rechten Hand neben sich klopfte. Während ich mich neben sie setzte, machte ich in ihrem Schoß einen geschwungenen Dolch mit einem langen, spitz zulaufenden Griff aus. Er sah sehr alt aus. Fragend schnellte mein Blick in ihr, von feinen Runzeln durchzogenes Gesicht.
Sie lächelte mich an, nahm die Stichwaffe mit beiden Händen und streckte sie mir entgegen. Mein Blick wurde fragender.
„Geschenk“, meinte sie und wies mich mit einer energischen Geste an, ihr Geschenk zu empfangen. Zögernd nahm ich es in die Hände.
Der Dolch war schwer, aber perfekt ausgewogen. Das leicht geschwungene Heft hatte einige Kratzer und war ganz offensichtlich schon mehrmals repariert worden. Farbunterschiede in der Holzstruktur ließen das vermuten. Dennoch fühlte es sich glatt an und lag hervorragend in der Hand. Es ragte gut fünfzehn Zentimeter über meine Hand hinaus und hatte somit die gleiche Länge wie die geschwungene Klinge. Auf ihr entdeckte ich seitlich eine breite Rinne, in die Schriftzeichen eingraviert worden waren. Persisch. Inzwischen konnte ich das vom Arabischen ein wenig unterscheiden.
Shekinahs Gestik wies mich an, den Dolch auszuprobieren. Ich kräuselte konzentriert die Nase und probierte einige Bewegungsabläufe, die ich bei Kahina gesehen hatte. Offenbar stellte ich mich unendlich dämlich an, denn die alte Frau lachte schallend auf. Na wenigstens konnte ich zu ihrer Erheiterung beitragen. Ich grinste sie hilflos an. Da erhob sie sich und gebot mir, es ihr nachzutun. Dann nahm sie mich bei der Hand und zog mich in den Bereich des Raumes, wo genügend Platz war. Dort forderte sie den Dolch ein, stellte sich mir gegenüber und wies mich an, eine ähnliche Grundstellung wie im Tai Chi einzunehmen. Eine der leichtesten Übungen, wenn man hin und wieder mit Jason trainiert hatte.
Als die alte Frau mir jedoch, mit der flüssigen Leichtfüßigkeit einer Tänzerin vormachte, wie der Dolch zu handhaben sei, zweifelte ich für einen Moment ernsthaft an meinen Fähigkeiten. Sie drehte und wendete sich, drehte und wendete dabei den Dolch und setzte ihn beidseitig ein, ohne dabei einmal ins Schwanken zu geraten. Dann drückte sie mir die Waffe in die Hand und forderte mich auf, ihrer Demonstration zu folgen. Himmel, hatte ich Angst, mir dabei das scharfe Teil entweder in den Oberschenkel oder den Unterarm zu bohren. Doch dank Jasons steter Bemühungen, mir die Sorgfältigkeit der Grundbewegungen in dieser Sportart einzubläuen, blieb mir das erspart. Shekinah wirkte sogar sehr erfreut.
Ein dezentes Beifallklatschen beendete abrupt meine Übung. Shekinah und ich fuhren gleichzeitig herum und entdeckten Jason, der lässig an den Türrahmen gelehnt, uns beobachte. Er stieß sich ab.
kam auf uns zu und blieb vor Shekinah stehen. Was er auch zu ihr sagte, es ließ ihre Wangen erröten und zauberte ihr ein verlegenes Lächeln auf die Lippen. Dann verbeugte er sich leicht, ergriff ihre faltige Hand und deutete einen Handkuss an. Die alte Dame begann leise zu kichern, wandte sich ab und entzog ihm ihre Hand, um ihn sogleich mit einer kaum ernst gemeinten Geste zu verscheuchen. „Was hast du zu ihr gesagt?“, hauchte ich Jason neugierig zu.
Er zwinkerte verschwörerisch. „Sie sei trotz ihres Alters so grazil wie eine Gazelle und eine Augenweide für jeden Betrachter. Und so sehr es mich auch reizen würde, eurer Übungsstunde weiter zu folgen, müssten wir nun leider aufbrechen.“ Dann wurde er wieder ernst. „Wir sollten uns fertig machen, Faye. Dein Mann zieht sich bereits gerade um.“
„Okay.“ Ich wandte mich wieder an Shekinah, blickte auf den Dolch in meiner Hand und dann auf seine ehemalige Besitzerin. Wie konnte ich ihr sagen, was ich fühlte, wie dankbar ich nicht nur für dieses Geschenk, sondern auch für ihre Gastfreundschaft war? Wie konnte ich ihr dafür danken, dass sie Kahina geschickt hatte, um mich zu finden? Wie ...? Ich atmete tief durch,
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