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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Jahr war; sie wussten nur, dass sie essen wollten wie immer. Ich hatte auf Henry Bruggers hinterem Feld ein Rudel Hirsche gesehen, und an einem Augustabend nach Einbruch der Dunkelheit bin ich mit einem Locklicht rausgegangen. Im Sommer, wenn sie fett sind, kann man zwei auf einen Schlag erledigen; der zweite kommt nämlich zurück und schnuppert am ersten als wollte er sagen: Zum Teufel. Ist denn schon wieder Herbst? und man kann ihn dann so leicht treffen wie einen Kegel. Das Fleisch reicht aus, die Jungen sechs Wochen lang zu füttern, und was übrig ist, kann man vergraben. Die Jäger, die im November kommen, haben dann zwar zwei Hirsche weniger zu schießen, aber schließlich müssen Kinder ja was essen. Wie der Mann aus Massachusetts gesagt hat, er wäre froh, wenn er sich leisten könnte, das ganze Jahr hier zu leben; dazu kann ich nur sagen, dass man manchmal nach Einbruch der Dunkelheit für dieses Privileg bezahlen muss. Da war ich also, und plötzlich sah ich dieses große orangefarbene Licht am Himmel, das immer tiefer sank, und ich stand da und starrte es mit aufgesperrtem Mund an, und als es auf dem Wasser aufprallte, erstrahlte der ganze See einen Moment lang in orangerotem Licht, das strahlenförmig zum Himmel emporzusteigen schien. Niemand hat mir gegenüber jemals dieses Licht erwähnt, und auch ich habe niemand was erzählt, erstens, weil ich Angst hatte, dass man mich auslachen würde, und zweitens, weil vielleicht neugierige Fragen gestellt worden wären, was ich bei Nacht draußen zu suchen hatte. Und nach einer Weile war’s dann so, wie Homer gesagt hat – es kam mir so vor, als hätte ich das nur geträumt, und es hatte keine Bedeutung für mich, weil ich es nicht einordnen konnte. Es war wie ein Mondstrahl. Es hatte keinen Griff und es hatte keine Klinge. Ich konnte nicht damit umgehen, deshalb ließ ich es in Ruhe, wie man das als Mann so macht, wenn man weiß, dass die Sonne sowieso aufgehen wird.
    »Es gibt Löcher in der Mitte von Dingen«, wiederholte Homer und setzte sich aufrechter hin. »Genau in der verdammten Mitte, nicht links oder rechts davon, am Rande des Blickfelds, wo man sagen könnte: Na ja, aber … Sie sind da, und man umgeht sie einfach, so wie man um ein Schlagloch in der Straße herumfährt, weil man sonst einen Achsenbruch bekommt. Verstehst du? Und dann vergisst man es. Oder es ist so wie beim Pflügen, man kann an einem Abhang pflügen. Aber wenn man dann plötzlich einen Spalt in der Erde sieht, wo es dunkel ist, als könnte eine Höhle dort sein, dann sagt man sich: Mach lieber einen Bogen drumrum, alter Junge. Kümmere dich nicht darum! Hier links davon ist noch genügend Platz. Weil man nämlich nicht nach einer Höhle gesucht und auch kein Interesse an aufregenden Funden hat, sondern nur ordentlich pflügen will.
    Löcher in der Mitte von Dingen.«
    Er schwieg lange Zeit, und ich ließ ihn schweigen. Ich hatte keinen Grund, ihn zur Eile anzutreiben. Und schließlich sagte er:
    »Sie verschwand im August. Ich hab sie zum ersten Mal Anfang Juli gesehen, und sie sah …« Homer wandte sich mir zu und betonte jedes einzelne Wort. »Dave Owens, sie sah prachtvoll aus! Prachtvoll und wild und fast ungezähmt. Die kleinen Fältchen um die Augen herum, die ich früher bemerkt hatte, schienen völlig verschwunden zu sein. Worth Todd, der war bei einer Konferenz oder so was Ähnlichem in Boston. Und sie stand da am Rand der Veranda – ich war in der Mitte und hatte das Hemd ausgezogen  – und sie sagte: ›Homer, Sie werden’s mir nicht glauben.‹
    ›Nein, Missus, aber ich werd’s versuchen‹, sag ich.
    ›Ich habe zwei neue Straßen entdeckt‹, sagt sie. ›Und beim letzten Mal habe ich bis Bangor nur 67 Meilen zurückgelegt. ‹
    Mir fiel ein, was sie mir früher gesagt hatte, und ich sag: ›Das ist unmöglich, Ma’m. Entschuldigen Sie bitte, aber ich hab selbst auf der Karte nachgemessen, und neunundsiebzig Meilen sind das absolute Minimum … das ist Luftlinie.‹
    Sie lachte und sah schöner aus als je zuvor. Wie eine Göttin in der Sonne, auf einem Berg im Märchen, wo’s nichts gibt außer grünem Gras und Brunnen und nicht mal Kobolde, die Unfug treiben könnten. ›Das stimmt‹, sagt sie. ›Und man kann auch nicht eine Meile in weniger als vier Minuten laufen. Das ist mathematisch bewiesen .‹
    ›Das ist nicht dasselbe‹, sag ich.
    ›Doch‹, sagt sie. ›Falten Sie die Karte und stellen Sie fest, wie viel Meilen es dann noch sind, Homer.

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