Blut - Skeleton Crew
Es können ein paar weniger sein als Luftlinie, wenn Sie die Karte nur ein wenig falten, es können aber auch eine ganze Menge weniger sein, wenn Sie sie stark falten.‹
Ich erinnerte mich plötzlich wieder an unsere gemeinsame Fahrt, wie man sich an einen Traum erinnert, und ich sag: ›Missus, Sie können eine Karte aus Papier falten, aber Sie können kein Land falten. Zumindest sollten Sie es nicht probieren. Sie sollten es bleiben lassen.‹
›Nein, Sir‹, sagt sie. ›Es ist momentan das Einzige in meinem Leben, was ich nicht lassen kann, denn es ist möglich, und ich kann es.‹
Drei Wochen später – etwa zwei Wochen vor ihrem Verschwinden – ruft sie mich aus Bangor an und sagt: ›Worth ist nach New York gefahren, und ich komme raus. Aber ich habe den verdammten Schlüssel verlegt, Homer. Könnten Sie aufschließen, damit ich ins Haus kann?‹
Nun, dieser Anruf kam um acht, als es gerade anfing, dunkel zu werden. Ich hab erst noch ein Sandwich gegessen und ein Bier getrunken, bevor ich los bin – etwa zwanzig Minuten. Dann bin ich hingefahren. Alles in allem war ich etwa eine Dreiviertelstunde nach ihrem Anruf dort. Und wie ich hinkomm, seh ich, dass in der Speisekammer Licht brennt. Und wie ich noch überleg, wie das möglich ist, fahr ich fast in ihren kleinen Flitzer rein. Er war schief geparkt, wie ein Betrunkener einparken würde, war bis zu den Fenstern rauf mit Dreck bespritzt, und auf der Karosserie klebte am Dreck auch noch ein komisches Zeug … sah aus wie Algen … aber als mein Scheinwerferlicht darauf fiel, schien sich das Zeug zu bewegen. Ich parkte hinter ihrem Flitzer und stieg aus dem Lieferwagen aus. Es waren keine Algen, aber es war Unkraut, und es bewegte sich tatsächlich … langsam und träge, als würde es sterben. Ich berührte eines dieser komischen Dinger, und es versuchte sich um meine Hand zu wickeln. Es fühlte sich grässlich an. Ich zog die Hand weg und wischte sie an der Hose ab. Dann ging ich um das Auto herum. Von vorn sah es noch schlimmer aus – als hätte es neunzig Meilen durch Sumpfgebiet hinter sich. Es sah richtiggehend erschöpft aus. Überall auf der Windschutzscheibe klebten Insekten – nur sahen sie nicht wie Insekten aus, die ich je zuvor gesehen hatte. Da war ein Falter so groß wie ein Sperling, der noch schwach die Flügel bewegte. Da war auch eine Art Moskitos, nur hatten die richtige Augen, die man sehen konnte, und sie schienen mich ebenfalls zu sehen. Ich hörte, wie das Unkraut über die Karosserie des Flitzers schabte, wie es sterbend versuchte, irgendwo Halt zu finden. Und in meinem Kopf hatte nur ein Gedanke Platz: Wo, zum Teufel, war sie nur gewesen? Und wie war sie in einer Dreiviertelstunde hierhergekommen? Und dann hab ich noch was anderes gesehn. Auf der Kühlerhaube, direkt unter dem Mercedesstern, klebte ein halb zerschmettertes Tier. Nun werden die meisten kleinen Tiere, die man auf der Straße anfährt, direkt unters Auto gefegt, weil sie sich ducken, wenn es auf sie zugeschossen kommt, und hoffen, dass es einfach über sie hinwegfährt und sie mit heiler Haut davonkommen. Aber hin und wieder springt eines auch schon mal nicht weg, sondern das verdammte Auto direkt an, als wollte es das schreckliche Ding kräftig beißen – hab ich selbst schon erlebt. Vielleicht hatte auch dieses seltsame Tier das tun wollen. Jedenfalls sah es bösartig genug aus, um sogar einen Sherman-Panzer anzuspringen. Es sah aus wie eine Kreuzung zwischen Murmeltier und Wiesel, aber es hatte auch noch so verschiedenes anderes Zeug an sich, was ich am liebsten gar nicht gesehen hätte. Es beleidigte mein Auge, Dave; aber was noch viel schlimmer war – es beleidigte meinen Verstand. Sein Fell war blutig, und es hatte die Krallen an den Pfoten ausgefahren wie eine Katze, nur waren sie viel länger. Es hatte große gelbe Augen, nur dass die schon erstarrt waren. Als Kind hatte ich eine Glasmurmel, die genauso ausgesehen hat. Und dann die Zähne! Lange dünne Zähne, die aussahen wie Stopfnadeln, ragten ihm aus dem Maul. Einige waren richtig ins Metall der Kühlerhaube eingedrungen. Ich sah dieses grässliche Ding an und wusste, dass es den Kopf voll Gift hatte wie eine Klapperschlange. Als es gesehen hatte, dass der Flitzer es gleich überfahren würde, musste es ihn angesprungen und versucht haben, ihn tödlich zu beißen. Und ich hatte absolut keine Lust, es von der Kühlerhaube zu nehmen, weil ich nämlich Kratzer auf den Händen hatte – vom
Weitere Kostenlose Bücher