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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Onkel Otto seine wöchentliche Lebensmittellieferung brachte – aber ich brachte sie ihm noch. Ich versuchte auch, ihm auszureden, dass er sein Bedürfnis am Straßenrand verrichtete, wenigstens im Sommer, wenn jeder x-beliebige Tourist aus Michigan, Missouri oder Florida, der gerade vorbeikam, ihn sehen konnte.
    Ich konnte ihm das nicht klarmachen. Der Lastwagen ging ihm zu sehr an die Nieren, als dass er sich um solche Nebensächlichkeiten kümmern konnte. Seine Beschäftigung mit dem Cresswell war zur Manie geworden. Er behauptete felsenfest, dass der Lastwagen auf seiner Seite der Straße war – direkt in seinem Vorgarten.
    »Ich bin heute Nacht um drei aufgewacht, und da war er, genau vor dem Fenster«, sagte er. »Ich habe ihn dort gesehen, das Mondlicht hat sich in der Windschutzscheibe gespiegelt, keine drei Meter von mir entfernt, und das Herz ist mir fast stehen geblieben. Fast stehen geblieben, Quentin.«
    Ich nahm ihn mit nach draußen und zeigte ihm, dass der Cresswell genau dort stand, wo er immer gestanden hatte, jenseits der Straße auf der Wiese, wo McCutcheon vorgehabt hatte zu bauen. Es half nichts.
    »Das ist nur das, was du siehst, Junge«, sagte er in einem Ton unendlicher Verachtung, während die Zigarette in seiner Hand zitterte, und er mit den Augen rollte. »Das ist nur das, was du siehst. «
    »Onkel Otto«, sagte ich und versuchte, witzig zu sein. »Man bekommt, was man sieht.«
    Er schien es gar nicht gehört zu haben.
    »Das Miststück hätte mich fast erwischt«, flüsterte er. Mich überlief ein Schauder. Er sah nicht verrückt aus. Miserabel, ja, und ganz sicher erschrocken … aber nicht verrückt. Einen Moment erinnerte ich mich, wie mein Vater mich in das Fahrerhaus des Lastwagens hob. Erinnerte mich an den Geruch von Öl und Leder … und Blut. »Hätte mich fast erwischt!«, wiederholte er.
    Und drei Wochen später erwischte er ihn.
     
    Ich fand ihn. Es war Mittwochabend, und ich war mit zwei Tüten voll Lebensmitteln auf dem Rücksitz hinausgefahren, wie beinahe an jedem Mittwochabend.
    Es war ein heißer, schwüler Abend. Ab und zu grollte Donner in der Ferne. Ich erinnere mich an meine Nervosität, als ich meinen Pontiac die Black Road Henry entlangfuhr; ich war mir irgendwie sicher, dass etwas passieren würde, versuchte aber mir einzureden, dass es an dem niedrigen Luftdruck lag.
    Ich fuhr um die letzte Ecke, und einen Moment hatte ich, gerade als Onkel Ottos kleines Haus in Sicht kam, eine höchst merkwürdige Halluzination – einen Augenblick glaubte ich, dass der verdammte Laster wirklich in seinem Vorgarten wäre, groß und unförmig, mit seiner roten Farbe und den morschen Seitenstangen. Ich wollte auf die Bremse treten, aber noch bevor mein Fuß auf dem Pedal aufsetzte, blinzelte ich, und die Sinnestäuschung war verschwunden. Aber ich wusste, dass Onkel Otto tot war. Keine Fanfaren, keine Blitzlichter; nur dieses Wissen, wie man weiß, wo in einem vertrauten Zimmer die Möbel stehen.
    Ich fuhr, so schnell ich konnte die auf Einfahrt, stieg aus und rannte zum Haus, ohne mich um die Lebensmittel zu kümmern.
    Die Tür war offen – er sperrte sie nie ab. Ich hatte ihn einmal danach gefragt, und er hatte mir geduldig erklärt, wie man einem Einfaltspinsel eine völlig offensichtliche Tatsache erklären würde, dass eine abgesperrte Tür den Cresswell nicht aufhalten würde. Er lag auf seinem Bett, das auf der linken Seite des Zimmers stand, gegenüber der Kochnische. Er hatte die grünen Hosen und das warme Unterhemd an, und seine glasigen Augen waren offen. Ich glaube nicht, dass er mehr als zwei Stunden tot war. Keine Fliegen und kein Verwesungsgeruch, obwohl an dem Tag eine Bullenhitze geherrscht hatte.
    »Onkel Otto?« Ich sprach leise, ohne eine Antwort zu erwarten. Mit so weitgeöffneten und hervorquellenden Augen liegt man nicht einfach zum Spaß im Bett. Wenn ich etwas fühlte, dann war es Erleichterung. Es war vorbei.
    »Onkel Otto?« Ich ging näher hin. »Onkel …«
    Ich hielt inne, als mir zum ersten Mal auffiel, wie seltsam entstellt seine untere Gesichtshälfte war – wie geschwollen und verzerrt. Ich bemerkte zum ersten Mal, wie seine Augen nicht nur starrten, sondern regelrecht aus den Höhlen glotzten. Doch sie waren weder zur Tür noch zur Decke gerichtet. Sie waren auf das kleine Fenster über dem Bett verdreht.
    Ich bin heute Nacht um drei aufgewacht, und da war er genau vor dem Fenster, Quentin. Hätte mich fast erwischt.
    Zu Brei

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