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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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vom Abend zuvor. Es gibt gewaltige Naturkräfte, die man fast nie zu sehen bekommt – Erdbeben, Hurrikane, Tornados – ich habe noch nicht alle gesehen, aber die ich gesehen habe, haben mich überzeugt, dass sich alle mit dieser trägen, hypnotisierenden Geschwindigkeit bewegen. Sie verzaubern einen, wie Billy und Steffy am vergangenen Abend vor dem Verandafenster.
    Er rollte gleichgültig über den Asphalt der zweispurigen Straße und entzog sie unseren Blicken. Das hübsch restaurierte holländische Kolonialhaus der McKeons wurde gänzlich verschluckt. Der erste Stock des baufälligen Wohnhauses daneben ragte noch einen Augenblick aus dem Nebel heraus, dann war auch er verschwunden. Die Schilder RECHTS FAHREN an der Ein- und Ausfahrt des Parkplatzes verschwanden – die schwarzen Buchstaben schienen noch einen Moment im leeren Raum zu schweben, nachdem der schmutzig-weiße Untergrund schon verschluckt war. Als Nächstes kamen die Autos auf dem Parkplatz an die Reihe.
    »Herrgott, was ist das?«, fragte Norton wieder, und seine Stimme zitterte leicht.
    Er kam immer näher, verschluckte den blauen Himmel mit derselben Leichtigkeit wie den schwarzen Asphalt. Sogar aus sechs Meter Entfernung war seine Demarkationslinie völlig klar. Ich hatte das verrückte Gefühl, dass ich einen besonders gelungenen visuellen Trick beobachtete, etwas, was sich Willys O’Brian oder Douglas Trumbull ausgedacht hatten. Es ging alles so schnell. Der blaue Himmel schrumpfte zu einem breiten Streifen zusammen, dann zu einem schmalen, dann zu einer Bleistiftlinie. Dann war er verschwunden. Pures Weiß presste sich gegen das Glas des großen Schaufensters. Ich konnte bis zu dem etwa ein Meter entfernten Abfallkübel sehen, aber nicht viel weiter. Ich konnte die vordere Stoßstange meines Scouts erkennen, aber das war auch schon alles.
    Eine Frau kreischte, sehr lang und laut. Billy presste sich noch enger an mich. Er zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.
    Ein Mann schrie auf und stürzte durch eine der verlassenen Reihen zur Tür. Ich glaube, das löste schließlich die Panik aus. Leute stürzten holterdipolter in den Nebel hinaus.
    »He!«, brüllte Brown. Ich weiß nicht, ob er wütend oder beunruhigt war oder beides. Sein Gesicht war fast purpurrot. Adern traten an seinem Hals hervor, fast so dick wie Batteriekabel. »He, Leute, ihr könnt diese Sachen nicht mitnehmen. Kommt mit dem Zeug sofort zurück! Das ist Ladendiebstahl!«
    Sie ließen sich nicht aufhalten, aber einige warfen ihre Einkäufe beiseite. Einige lachten und waren aufgeregt, aber sie waren in der Minderheit. Sie stürzten in den Nebel, und wir, die blieben, sahen keinen je wieder. Ein schwacher beißender Geruch drang durch die offene Tür. Dort stauten sich die Leute. Drängen und Schubsen begann. Meine Schultern schmerzten allmählich, denn Billy war alles andere als leicht und klein – Steffy nannte ihn manchmal ihren jungen Stier.
    Norton schlenderte davon, er sah nachdenklich und ratlos aus. Er ging zur Tür.
    Ich nahm Billy auf den anderen Arm, damit ich Norton am Arm packen konnte, bevor er außer Reichweite war. »Nein, Mann, das würde ich nicht«, sagte ich.
    Er drehte sich um. »Was?«
    »Warten Sie ab.«
    »Was?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Sie glauben doch nicht …«, begann er, als ein Schrei aus dem Nebel zu uns drang.
    Norton verstummte. Das dichte Menschenknäuel an der Tür löste sich etwas auf, scharte sich aber sogleich wieder zusammen. Die aufgeregten Unterhaltungen, Schreie und Rufe brachen ab. Die Gesichter der Menschen in der Tür sahen plötzlich flach, bleich und zweidimensional aus.
    Der Schrei wollte und wollte nicht enden. Er wetteiferte mit der Feuersirene. Es schien ganz unmöglich, dass eine menschliche Lunge ausreichend Luft für einen derartigen Schrei haben könnte. Norton murmelte »O mein Gott!« und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
    Plötzlich brach der Schrei abrupt ab. Er verklang nicht allmählich – er wurde abgeschnitten. Ein weiterer Mann ging hinaus, ein bulliger Kerl in Arbeitskleidung. Ich glaube, dass er fest entschlossen war, den Schreihals zu retten. Einen Augenblick war er draußen hinter Glas und Nebel noch verschwommen zu sehen wie eine Gestalt, die man durch einen Becher Milchshake erblickt. Dann (und soviel ich weiß, war ich der Einzige, der das gesehen hat) schien sich hinter ihm etwas zu bewegen, ein grauer Schatten in all dem Weiß. Und ich hatte den Eindruck, dass der Mann nicht

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