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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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endlich wissen, was das hier überhaupt für ein Theater ist.« Sein Kopf drehte sich mehr in Richtung Reimund. Bitter fuhr er fort: »Warum versuchst du uns überhaupt umzubringen? Was hab ich dir und deinem Kloster getan? Was soll das Ganze? Hat man dir das Hirn in den Staaten amputiert?«
    Reimund entfuhr ein höhnisches Zischen. »Du verstehst gar nichts, Erik! Du hast keine Ahnung, was sich hier abspielt. Aber es spielt eh keine Rolle mehr, ob du die Wahrheit erfährst oder nicht. Ihr werdet hier nicht mehr lebend herauskommen. Was willst du also wissen?«
    Natalja dämmerte, dass Reimund Zeit schinden wollte. Er war durch das Fehlschlagen seiner Eiswand verunsichert. Er wartete auf weitere Mönche. Spätestens dann hatten Alexander und Erik keine Chance mehr zur Flucht. Ihnen lief die Zeit davon! Sie musste -
    »Alles!« antwortete Erik in diesem Moment.
    »Das ist etwas viel verlangt, Erik. Aber gut. Ihr sollt die Wahrheit erfahren, aber nur - weil ich dir noch etwas schuldig bin. Du hast all die Jahre wegen Laura geschwiegen, dafür bin ich dir immer noch dankbar.«
    Reimund schluckte und schien sich zu sammeln. Dann fragte er: »Was versteht ihr unter dem Begriff ›Natur‹?«
    »Willst du uns veräppeln?«
    Alexander schob sich einige Zentimeter näher an Reimund heran. Dieser hob sofort seinen Arm etwas höher. Das blaue Funkeln wurde stärker.
    »Ruhig, Alexander«, ging Erik dazwischen. »Was soll diese Frage? Wir sind hier nicht bei Günther Jauch.«
    »Wollt ihr die Wahrheit wissen oder nicht? Beantwortet meine Frage oder sterbt.«
    Natalja hörte ein Seufzen, konnte es aber schwer einem der Männer zuordnen.
    Erik ergriff wieder das Wort. »Na schön. Wenn du willst. Die Natur ist für mich alles, was nicht von uns Menschen erschaffen wurde.« Er deutete mit der freien Hand auf den düsteren Hain. »Das ist Natur.« Seine Hand wanderte Richtung Kloster. »Das nicht.«
    »Die Gesamtheit aller Lebewesen«, fügte Alexander hinzu. »Uns Menschen mit eingeschlossen. Aber was soll diese Scheiße?«
    »Ihr müsst den Hintergrund begreifen«, sagte Reimund sachlich und überging Alexanders Kraftausdruck. »Seht die Natur als allgegenwärtig an. Sie beherrscht diesen Planeten seit Anbeginn der Zeit und wir, der Mensch, ist der natürliche Feind davon. Früher lebten die Menschen im Einklang mit der Natur, doch irgendwann schlug dieses Verhältnis um. Das Gleichgewicht geriet aus dem Lot. Wir zerstören sie, Stück für Stück. Stellt euch die Natur als ein gewaltiges Kollektiv vor. Sie lebt und denkt.
    Dieser Hain in meinem Rücken ist sozusagen ein Teil des Gehirns dieses Kollektivs. Und das Kloster beschützt dieses Gehirn. Ich muss noch weiter in der Zeit zurückgehen, damit ihr begreift. Ich sehe es in euren Augen.« Reimund räusperte sich leise. »Am Anfang bedeckte dieser Forst die Erde. Ich nenne ihn den ersten Wald. Er überzog sie und war allgegenwärtig. Doch mit der Zeit kamen die Menschen mit Äxten, Sägen und Feuer. Sie trieben die ersten Bäume immer weiter zurück, rodeten, zerstörten, bis das Kollektiv entschloss, sich zu schützen. Nur das Kollektiv konnte sich nicht selbst beschützen. Die Natur ist zwar unglaublich mächtig, aber ihr fehlt die Flexibilität des Menschen. Bis sich der Wald eine betonierte Straße zurückgeholt hat, vergehen Jahre. Gebaut ist sie in wenigen Wochen. Versteht ihr?
    Also zog das Kollektiv Menschen auf seine Seite. Die mit einem grünen Herzen. Überall auf der Welt wurden Klöster wie dieses gegründet. Haine des ersten Waldes wurden eingemauert, geschützt hinter einer dicken Wand aus Stein und Ordensbrüdern.«
    »Bullshit!« sagte Alexander. »Das ist nur religiöses Gebrabbel eines naturphilosophischen Fanatikers. Und selbst wenn du Recht hättest. Warum sollte die Natur, ein Wesen von unvorstellbarer Macht, sich nicht gegen so schwache Menschen wie uns wehren können. Für was braucht sie wiederum Menschen, um sich vor ihnen zu schützen. Das ist doch lächerlich.«
    Reimund schüttelte den Kopf. »Du verstehst immer noch nicht. Die Natur ist zwar mächtig, was jegliches Vorstellungsvermögen des Menschen sprengt, aber ihre Handlungen sind in anderen Zeitkategorien angelegt. Die Erschaffung einer Art dauert zum Beispiel Jahrhunderte. Gegen den Mensch mit seinen Äxten und vernichtenden Erfindungen ist sie regelrecht machtlos. Ein Fehler im System.
    Um sich deshalb zu schützen braucht sie den Menschen, der ihre Kraft für ihre eigenen Zwecke

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