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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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hinaus in den offenen Kreuzgang des Klosters treten konnte.
    Reimund schritt angemessenen Schrittes durch den gemauerten Flur. Eine Hand voll dicker milchfarbener Kerzen verströmte bleiches Licht. Seine Tritte hallten leise durch das alte Gemäuer. Als er gerade die nach hinten versetzte Türnische zur Klosterkirche passierte, sah er die schmächtige Gestalt von Bruder Johannes im Dunkeln stehen. Der Mönch hatte die gichtigen, mit Altersflecken übersäten Hände in den weiten Ärmeln der dunkelgrünen Tunika versteckt, die von einem schlichten, braunen Zingulum zusammengehalten wurde. Doch Reimund hatte schon so oft mit Johannes zusammen gearbeitet, dass er die Hände nur zu gut kannte. Das Gesicht des hageren Mannes lag im Halbschatten und wirkte wie eine hart geschnitzte Totenmaske.
    »Wird er uns weiterhin Probleme machen?« fragte der Mönch leise.
    Reimund blieb stehen und musterte seinen Ordensbruder schweigend. Die graugrünen Augen Johannes blinzelten kein einziges Mal, als sich ihre Blicke kreuzten.
    »Wie ich es dir schon einmal gegenüber erwähnt habe: Ich kenne Erik Ritter aus meinem früheren Leben«, sagte Reimund mit ausdrucksloser Stimme, die sich wieder beruhigt hatte. »Er war wie ein geliebter Bruder für mich.« Johannes rührte sich nicht. Schweigend wartete er auf weitere Erklärungen seines Abtes. Reimund ließ ihn auch nicht lange warten. »Ich kann dir versichern, dass Erik Ritter niemals Ruhe geben wird, solange er nicht seine Ziele erreicht hat. Er war früher schon so. Er ist immer noch so. Das Gespräch eben war diesbezüglich für mich eindeutig. Daran besteht kein Zweifel.«
    Johannes, der die Geschicke des Klosters leitete, wenn Reimund nicht vor Ort war, und somit die rechte Hand des Abtes darstellte, nickte andeutungsweise. Seine harte, scharrende Stimme erfüllte erneut den düsteren Durchgang.
    »Was willst du tun?«
    Reimund zuckte nur mit den Schultern. Sein Blick löste sich von Bruder Johannes harten Gesichtszügen und wanderte zum Tor, das in den mit rötlich ausgewaschenen Schieferschindeln überdachten Kreuzgang des Klosters führte. Dahinter lag der offene Innenhof. Obwohl das dicke Eichentor geschlossen war, konnte Reimund den dahinterliegenden uralten Hain mit seinen dicken, schwarzen Stämmen spüren, die eng zusammen standen und ihre krummen Äste in den Himmel reckten. Er sehnte sich in diesem Moment nach den moosbedeckten Steinen, dem Geruch nach Tannennadeln und Harz und nach der tiefen Stille der Bäume.
    »Ich muss erst darüber nachdenken, Johannes. Aber eines ist sicher: Wir haben mit Erik Ritter ein ernsthaftes Problem.«
    Johannes Kopf nickte erneut. Dieses Mal etwas stärker, sodass Reimund es aus dem Augenwinkel noch wahrnehmen konnte. Dann meinte der Mann trocken: »Dann löse es.«

Kapitel 6
    Die Wagentüre knallte ächzend in die Schließmechanik. Hätte jemand anderes seine Autotür mit solcher Wucht zugeworfen, er hätte denjenigen mit lautem Brüllen, Kreischen und Zedern in die Schranken gewiesen. Sich selbst brüllte Erik jedoch nicht an. Grimmig sperrte er ab, dann stapfte er auf die Eingangstüre seines Büros zu.
    Das sonderbare Gespräch mit Reimund surrte immer noch durch seine Ohren und er konnte und wollte es einfach nicht glauben. Wie konnte Reimund nur so komisch reagieren? Was war ihm in den dreiunddreißig Jahren alles zugestoßen? Reimund hatte sich ganz offenkundig stark verändert. Oder lag es an ihm selbst? Hatte er sich in den drei Jahrzehnten so gewandelt?
    Erik passierte die gläserne Eingangspforte, durchschritt zügig das großzügige, mit sandfarbenen Kacheln geflieste Foyer, rauschte an seiner aufgetakelten Sekretärin vorbei, die ihn überrascht und mit weit aufgerissenen Augen und erschrockenem Gesichtsausdruck anstarrte, und wuchtete hinter sich seine Bürotür ins Schloss. Das Holz schepperte protestierend.
    Als er endlich in seinem Refugium angekommen war, entwich ihm ein lautes Stöhnen. Abgespannt ließ er sich gegen die Holztür sinken und schloss für einige Sekunden die Augen.
    So geht es nicht weiter, Erik!, mahnte er sich selbst. Die gesamte Situation drohte aus den Fugen zu geraten. Die Zügel hatte er gefühlt sowieso schon nicht mehr in der Hand. Erst Elias und seine Freundin, die Laura wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah, dann Kühnle, dann der Beinaheunfall und nun auch noch Reimund als Abt des querschießenden Klosters. Reimund! Erik schüttelte entnervt den Kopf. Unglaublich! Wenn etwas schief

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