Blut und Harz
zehn Kilometer auseinander und sind uns bis gestern nie über den Weg gelaufen?« Er musste schlucken. Er spürte, wie Wut und Fassungslosigkeit in ihm wuchs. »Dann hatte ich mich doch nicht getäuscht. DU warst das gestern am Steuer eures Passats, der hinten in der Garage steht. Ich hatte mich doch nicht geirrt. Wegen dir hätte ich beinahe einen Unfall gebaut!«
Reimunds Gesicht verfinsterte sich, als er die Augen misstrauisch zusammenkniff. Seine buschigen Brauen bildeten fast eine durchgehende Linie. »Woher weißt du von unserer Garage und unserem Wagen? Hast du hier auf dem Grundstück herumgeschnüffelt? Was fällt dir eigentlich ein? Das Kloster ist Privatbesitz. Man schlendert nicht so einfach durch fremde Gärten!«
Überrascht schluckte Erik seine nächsten Worte hinunter. Eine Zurechtweisung hatte er am allerwenigsten erwartet. Verdattert antwortete er: »Das Einfahrtstor stand offen und hier hat niemand geöffnet. Also bin ich einmal ums Gebäude gelaufen. Ich dachte, ich treffe vielleicht hinten einen Mönch. Aber warum bist du so patzig. Freust du dich denn gar nicht, dass wir uns nach so vielen Jahren wiedersehen?«
Reimunds Kiefergelenke pressten sich mahlend aufeinander, die Muskeln stachen markant hervor, bevor er trocken erwiderte: »Jetzt hör mir mal genau zu. Mein altes Leben ist beendet. Ich heiße nicht mehr Reimund Schell sondern einfach und schlicht: Bruder Raphael. Ich habe auch keinerlei Bedürfnis unsere alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen, im Gegenteil! Zu viel ist seitdem passiert und die Ereignisse von damals habe ich – dem Herrn sei Dank - verarbeitet. Du bist damit vielleicht leichter zurechtgekommen, aber ich nicht. Jahrelang habe ich Laura jeden Tag vor mir liegen gesehen. Verstehst du? Ich hatte gehofft in den USA Ruhe zu finden, doch die Vergangenheit hat mich auch dort eingeholt.« Reimunds Gesicht hatte sich vor Aufregung rot gefärbt. Dicke Adern an seinem kräftigen Hals pulsierten rhythmisch. »Erst seit ich hier bin, geht es mir gut und ich konnte damit ein für alle Mal abschließen. Ich werde mir meine verdiente Ruhe nicht von dir wieder kaputt machen lassen. Und was eure Anfragen angeht. Noch einmal: Wir verkaufen gar nichts. Weder dir noch einem anderen Investor. Wenn du dein Waldhotel bauen willst, musst du schauen, wie du ohne unseren Grund zurechtkommst. War das klar und deutlich?«
Erik schwieg mehrere Sekunden, dann nickte er. »Ist das alles, was du mir nach dreiunddreißig Jahren zu sagen hast? Kein Wort des Dankes, dass ich all die Jahre geschwiegen habe. Kein Lächeln, kein Händedruck, nichts. Das habe ich mir wahrlich anders vorgestellt.« Erik schnaubte verächtlich, bevor er die weiteren Worte zwischen den Zähnen hervorpresste. »Du enttäuscht mich sehr Reimund. Aber eines verspreche ich dir: Ich werde mein Waldhotel bauen und ich werde das Stück Weg schon bekommen. Verlass dich drauf. Ich gebe dir mein Ehrenwort, genauso wie damals, und du weißt, dass du dich darauf verlassen kannst.«
Erik hatte ein höhnisches Lachen erwartet, doch Reimund runzelte nur argwöhnisch die Stirn. »Was willst du machen Erik? Willst du unser Kloster genauso abfackeln lassen wie das Haus von Kühnle? - Schau nicht so überrascht. Ich habe den Text zwischen den Zeilen in der Zeitung schon richtig verstanden. Du glaubst doch selbst nicht an Zufall. Aber wenn es das ist, was du vorhast, dann probier es nur. Versuche, diese Mauern zu entzünden! Ich garantiere dir, du wirst nicht weit kommen! Und nun verschwinde hier von unserem Grund und Boden, bevor ich mich vergesse.«
In Erik brodelte es, doch er antwortete nichts mehr. Was auch? Alles war gesagt worden. Mit grimmiger Miene machte er auf dem Absatz kehrt, dass die feinen Schottersteinchen nur so durch die Luft wirbelten, und ließ Reimund am Fuße der Treppe stehen.
***
Der massive Eichenholzflügel des doppelflügeligen Eingangstores, dessen armdicke, gusseiserne Angeln nicht das geringste Quietschen von sich gaben, schloss sich hinter Reimund und sperrte das helle Tageslicht aus dem Eingangsbereich der Klosterkirche aus. Sofort umfing ihn die kühle, erdige Luft, die in ihm das Gefühl von Ruhe verströmte. Mit der Kühle kam auch das fahle Zwielicht, das fast immer im Durchgangsbereich herrschte. Sein Puls raste, verlangsamte sich jedoch merklich.
Vor ihm erstreckte sich ein breiter Steingang, von dem man links in die Klosterkirche, rechts in den Unterraum des kleinen Klosterturmes und geradeaus
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