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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Nummernschild. Da ihn schon immer Zahlen und Zeichen begeistert hatten, prägte er sich die Ziffern-und Buchstabenkombination des Wagens ein. Als Kind hatte er bei jeder Fahrt mit seinen Eltern das gleiche getan: Mit den Buchstaben des vorausfahrenden Wagens jongliert, die Zahlen addiert und seinen Vater nach der Bedeutung der Landkreiskürzel gelöchert.
    Als er sicher war, das Nummernschild abgespeichert zu haben, trat er seufzend zurück an die Hintertüre. Mit voller Wucht hämmerte er mehrmals gegen das raue Holz.
    Wumm-Wumm-Wumm.
    »Hallo? Ist hier jemand?« Seine Stimme klang hohl und hallte überraschend nach.
    Niemand antwortete.
    Erik klopfte erneut, doch auch nach einer Minute geschah nichts. Alle Fenster und die Tür blieben verschlossen.
    Das kann doch nicht sein, schimpfte er in Gedanken. Der Garten ist fachmännisch gepflegt, aber es ist keine alte Sau hier. Verstecken die sich vor mir?
    Mit dem leichten bohrenden Gefühl, verarscht zu werden, setzte er seinen Rundgang fort. Er bog um die Ecke, doch auch hier bot sich ihm das gleiche Bild. Sträucher und Büsche an der Klosterwand, statt Efeu dieses Mal aber prächtige Weinstöcke an der sonnigen Schutzmauer. Ein großer Haselnussstrauch und ein gewaltiger Walnussbaum unterbrachen einzig die Monotonie der Büsche.
    Erik erreichte grummelnd wieder seinen Wagen und damit die Vorderseite des Klosters. Vor dem Eingangstor blieb er nachdenklich stehen, nachdem er auch hier mehrmals laut geklopft hatte.
    Sein Blick glitt gelangweilt zu einem in die Wand gemeißelten Wappen, das über der Tür prangte. Es war ein Schild auf dunkelgrünem Grund mit stilisiertem Eichenbaum auf hellgrünem Grund.
    Das Wappen faszinierte ihn. Obwohl der Stein rissig und abgewittert war, strahlten die Farben noch mit leuchtender Intensität. Erik kramte sein Smartphone aus der Tasche und fotografierte das Wappen. Warum wusste er auch nicht so genau, aber sein Bauchgefühl drängte ihn dazu. Er hatte im Laufe seines Lebens gelernt, sich auf seinen Magen zu verlassen und vielleicht konnte er das Foto nochmals gebrauchen.
    Nachdenklich versuchte er sich an die Unterhaltung mit seinem Anwalt zu erinnern. Was hatte Eschle gesagt? War er nicht auch mehrmals hier gewesen und hatte niemanden angetroffen? Erik nickte sich selbst zu. Ja, so hatte es sein Anwalt erzählt. Wahrscheinlich durfte er heute noch mehrmals hierher fahren und hoffen, dass er zufällig jemanden traf. Seufzend hämmerte er erneut gegen die Eichenbretter - Wumm-Wumm-Wumm - doch auch dieses Mal öffnete niemand.
    Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er schon über eine halbe Stunde hier war. Kurz nach Zehn.
    Erik schüttelte nachgebend den Kopf. Er hatte zu arbeiten. Er konnte nicht seine wertvolle Zeit mit dem Begutachten von Johannisbeersträuchern und Walnussbäumen verbringen, nur in der Hoffnung einen Mönch zu treffen. Er würde am Nachmittag nochmals kommen. Es blieb ihm auch gar nichts Anderes übrig.
    Niedergeschlagen kehrte er schlendernd zum Wagen zurück. Er hatte sich so viel für dieses Treffen vorgenommen, er hatte sich vorbereitet und nun. Nada. Nichts. Keine Sau da.
    Auf halber Strecke spürte er, dass er wieder beobachtet wurde. Das gleiche Gefühl wie am Vorabend raste blitzartig durch seinen Körper, ließ die Nackenhaare lotrecht stehen. Sein Herz machte einen Satz. Erik hielt schlagartig in der Bewegung inne. Langsam drehte er sich erneut zum Klostereingang um.
    Ein Flügel des dunkelbraunen Eichentors stand weit offen. Dass sich das schwere Tor überhaupt geöffnet hatte, war ihm entgangen. Er hatte keinen Laut gehört. Ein Mönch wartete im Halbdunkel des Tores und blickte schnurstracks in seine Richtung. Zumindest vermutete Erik das, obwohl das Gesicht des Mönchs hinter einer dicken Kapuze im Schatten lag. Eine unterschwellige Aura von Gefahr strahlte von dem Mann aus und mahnte Erik zur Vorsicht.
    Idiot!, schimpfte er sich erneut. Erst am Vorabend hatte er sich von seinen wilden Angstfantasien so hinreißen lassen. Vor dir steht ein Mönch. Warum fühlst du dich bedroht?, fragte er sich. Erik schluckte seine Furcht hinunter. Er setzte innerlich die Businessmaske auf. Angemessenen Schrittes lief er auf den Mann zu.
    »Guten Tag, ich bin Erik Ritter. Ich würde gerne mit dem Chef des Klosters sprechen. Ist er hier?«
    »Sie meinen den Abt? Sein Name ist Bruder Raphael.« Die Stimme jagte Erik einen eisigen Schauer über den Rücken. Sie klang nicht unangenehm oder drohend, doch

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