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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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hatte viel zu wenig Kraft um ihn zu halten, doch vielleicht hätte dieser Bruchteil einer Sekunde gereicht, die Geschehnisse zu ändern.
    So flog Elias regelrecht über den Gehsteig und die Straße. Zwanzig Meter. Natalja starrte gebannt auf das Schauspiel. Sie war paralysiert. Sie hielt den Atem an. Ihr war klar, dass sich die beiden Männer und das Auto in einem gemeinsamen Punkt treffen würden. Es war unausweichlich.
    Zehn Meter.
    Elias sprang mit aller Kraft ab und hechtete seinem Vater entgegen, der auch jetzt die hochglanzlackierte, heranrasende Gefahr erkannt hatte. Ein Ausdruck von echtem Unglaube stand Erik Ritter ins Gesicht geschrieben.
    Fünf Meter.
    Elias prallte auf seinen Vater. Sein Schwung riss Erik von den Füßen, ließ ihn haltlos nach hinten stürzen. Dann traf das Auto mit voller Wucht auf Elias.
    Es krachte knirschend, als der Körper auf der Motorhaube aufschlug und mit dem Kopf wie ein Hammer in die Scheibe donnerte. Ein Spinnennetz an Rissen überzog schlagartig die Frontscheibe des Wagens. Gleichzeitig wurde Elias weiter über das Dach katapultiert und wirbelte durch die feuchtkalte Luft. Das Auto selbst schrammte nur Millimeter an Erik Ritter vorbei, blieb nach zehn Metern schlitternder Fahrt stehen.
    Nataljas Herz setzte aus, als Elias mit einem dumpfen Schlag auf dem glänzenden Asphalt aufschlug. Adrenalin durchströmte sie bis in die winzigste Faser ihres Körpers. Nach dem kurzzeitigen Stillstand fing ihr Herz nun an zu rasen. Sie rannte entsetzt los. Der Wagen, auf dessen Seiten in schwarzen Lettern Werbung für Elektroautos aufgebracht war, fuhr leise wieder an, beschleunigte dramatisch und schoss davon.
    Natalja registrierte es, doch sie musste zu Elias.
    Dieser lag regungslos am Boden, die Augen geschlossen. Fast schwarzes Blut strömte aus einer klaffenden Wunde an der Stirn. Sein Kopf war stark zur Seite verdreht.
    Stöhnend ließ sich Natalja neben ihm zu Boden sinken. Der harte Asphalt kratze über ihre Knie, riss sie unter der Jeans auf, doch sie spürte es nicht.
    Elias! Sie musste ihm helfen! Was sollte sie nur tun? Was hatte sie im Erste-Hilfekurs gelernt? Erst einen Krankenwagen verständigen? Einen Notarzt! Doch was, wenn Elias jetzt Hilfe brauchte. Vielleicht war der Notarzt viel zu langsam.
    Sie wollte gerade verzweifelt nach Elias verdrehtem Kopf greifen, als sie von stämmigen Händen grob nach hinten gerissen wurde.
    »NICHT ANFASSEN!« brüllte eine heisere Frauenstimme zitternd. Eine junge, füllige Frau mit schwarzen Locken, vielleicht Ende Zwanzig, zerrte Natalja von ihrem verletzten Freund weg. Ihre Wangen waren von hellen Flecken übersät, wahrscheinlich alte Narben von extremer Akne. Sie roch nach Schweiß, dazu mischte sich eine Kopfnote morgenwiesenfrischen Parfums. Neben der Unfallstelle stand ein postgelber Kinderwagen auf dem Gehsteig. Das quengelnde Gebrüll eines Kleinkindes erfüllte von dort die diesige Straße.
    »Wollen Sie ihn umbringen?« fragte die Frau entsetzt. »Sie sehen doch, dass er möglicherweise an der Halswirbelsäule verletzt ist. Rufen Sie einen Krankenwagen. Sofort! Ich kümmere mich um den Verletzten.«
    Natalja konnte die Helferin nur aus großen Augen anstarren.
    »Wer … wer sind Sie?« stammelte sie überrannt.
    Die Augen der Frau funkelten sie an, doch dann glättete sich ihr rundes Gesicht ein wenig. »Ich bin Krankenschwester. Und nun wählen Sie! Neunzehn, Zwei, Zwei, Zwei!«
    ***
    Weißer Lack. Flirrende LED-Lichter. Kein Auspuff. Geruch nach verbranntem Gummi. Schreie. Eine blonde Russin. Seine Ohren klingeln. Seit wann bringt die Post Babys in gelben Kinderwägen? Verschwommene Bilder. Wirre Wortfetzen. Elias auf der kalten Straße. Elias! Dunkelrotes Blut. Kein Lebenszeichen. Seine Haut fahl und grau, genauso wie der Asphalt. Etwas berührt ihn. Jemand redet mit ihm. Worte. Er schüttelt nur den Kopf. Elias! Natalja? Er antwortet etwas. Jemand Schwarzhaariges. Warme, weiche Hände an seinen Augen. Er nickt. Ein grelles Licht. Etwas blendet ihn. Es schmerzt. Erneut nickt er. Sirenengeheul. Brennt es irgendwo? Rückt die Feuerwehr aus? Eschle als Kommandant? Leuchtend orange Jacken. Männer. »Sind Sie Herr Erik Ritter?« Er nickt. Eine Trage. Ein Tropfer. Eine gewaltige Halskrause. »Nein, die will ich nicht!« Er brüllt. Er schreit. Er schlägt um sich. Der Mann schüttelt nur den Kopf. »Die ist für ihren Sohn!« Ein kleiner Stich an seinem Arm. Zittern. Sohn? Elias! Schwirrendes Blaulicht. »Er hat keinen Puls

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