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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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zumindest war ihr Plan.
    Hastig schlüpfte sie in ihre Fleecejacke, trat mit einem großen Schritt über die mittlerweile gewaltige Blutlache und die leblosen Beine der Krankenschwester hinweg. Sie war keine Zwanzig. So jung und schon tot.
    Als sie die Zimmertür öffnete, raste ihr Herz wieder. Jeder, der jetzt vom Gang aus einen flüchtigen Blick ins Zimmer werfen würde, konnte die tote Frau sehen. Man würde sie verdächtigen. Wie sah die Situation auch aus?
    Doch der Gang war leer. Natalja schlüpfte hinaus und eilte den Flur entlang. Noch nie hatte sich ein Weg solange gezogen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Doch niemand hielt sie auf, niemand sprach sie an. Sie passierte zwei plaudernde Schwestern, dann stand sie im Treppenhaus. Da gerade kein Aufzug in ihrer Etage war, nahm sie die Treppe. Immer drei Stufen auf einmal. Unten eilte sie am Schalter vorbei. Immer noch hing der gelbe Zettel am Tresen. Niemand war zu sehen.
    Die eisige Luft schlug ihr entgegen, doch ihr war nicht mehr kalt. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie joggte den Fußweg entlang bis zum Parkplatz. Eriks Mercedes stand nicht mehr in seiner Parklücke.
    Schnaufend blieb Natalja stehen, starrte auf den leeren Parkplatz. Das Bild fügte sich zu einem Ganzen.
    Erik saß mit Sicherheit in seinem Wagen hinterm Steuer. Neben ihm der Killer, der Rabe, zielte mit seiner Pistole auf Erik. Sie fuhren irgendwo hin. Nur wohin? Wenn der Rabe irgendwelche Wertgegenstände von Erik wollte, wo würde sie Erik aufbewahren? Entweder bei sich zu Hause oder in seinem Büro.
    Natalja nickte entschieden. Das waren die zwei Möglichkeiten. Eine fünfzig, fünfzig Chance. Das Problem war nur, dass beide Orte am anderen Ende der Stadt lagen, in verschiedenen Richtungen. Zu Fuß würde sie mindestens dreißig bis vierzig Minuten benötigen, egal welche Route sie einschlug. Hilflos stapfte sie mit dem Fuß auf den Asphalt. So viel Zeit hatte sie nicht!
    Dann fiel ihr der Fahrradständer auf der anderen Seite des Haupteingangs ein. Sofort joggte sie los.
    Atemlos erreichte sie den fast leeren, überdachten Fahrradstellplatz. Ganze sieben Räder ruhten einsam auf den locker fünfzig Ständern. Zwei waren platt, eins ohne Sattel, drei abgesperrt und eines war intakt und nicht angekettet. Natalja schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Mit bebenden Fingern zerrte sie das klapprige Damenrad aus dem Ständer. Die Reifen waren noch halb voll, der Sattel war breit und mit Gel gefüllt. Eine Klingel gab es auch. Nur Lichter und Reflektoren fehlten vollständig. Aber besser als Laufen.
    Eilig schob Natalja den Drahtesel auf die Straße, schwang sich in den Altweibersattel und radelte los. Alles quietschte, doch die Räder drehten sich protestierend. Dann wurde der Lauf leichter, gängiger. Zum Glück war die Anfahrt zum Krankenhaus abschüssig. Natalja trat heftiger in die Pedale. Der feuchte Nebel zog schwebend an ihr vorbei, wie gelangweilte Geister. Als sie nochmals über die Schulter zurückblickte, war der siebziger Jahre Bau bereits verschwunden.
    Und wo würde sie nun hinfahren? Büro oder Wohnung? Kopf oder Zahl?
    Sie wusste es nicht.
    Noch nicht.

Kapitel 11
    »Guten Tag. Ich bräuchte Ihr Ticket und ihren Personalausweis, bitte«, sagte die taffe Dame hinter dem Schalter. Sie steckte in einem eng anliegenden, dunkelblauen Blazer, darunter trug sie eine blütenweiße Bluse. Ihre Traumfigur ließ sich erahnen. Ein rot-weiß gestreiftes Halstuch zierte ihren lieblichen Hals.
    Reimund legte beide Dokumente auf den Tresen. Die Brünette nahm sie routiniert an sich. Während die Frau die Daten prüfte, fragte sich Reimund, ob Air-Berlin anstelle von Einstellungsgesprächen Castings durchführte. Alle Mitarbeiterinnen sahen wie aus dem Ei gepellt aus. Sie hätten alle Zwillinge sein können. Oder Geklont.
    »Alles in Ordnung. Sie haben kein Gepäck, Herr Schell?«
    »Nein. Ich bin beruflich unterwegs.« Er schenkte ihr ein nichtssagendes Lächeln, was mit einem wissenden Nicken quittiert wurde.
    »Gut. Dann dürfte ich Sie bitten, sich umgehend zu Gate 14 zu begeben. Ihr Sitzplatz steht hier auf dem Ticket.« Sie kreiste mit einem Kugelschreiber den Aufdruck auf dem Papier ein. »Gangreihe. Boarding Time hat bereits begonnen. Sie sind etwas spät dran.« Sie lächelte tadelnd. »Ihr Flug geht in wenigen Minuten.«
    Reimund nickte nur, nahm seinen Perso wieder entgegen und verließ wortlos den Schalter.
    Er kannte den Weg. Ohne Eile fuhr er mit der Rolltreppe in die

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