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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Getratsche, die neuesten Gerüchte. Zumindest war es in Stuttgart so. Bei diesem Wetter jedoch wunderte sie die Leere nicht. Sie würde auch lieber zuhause vor einem brennenden Schwedenofen sitzen, heiße Schokolade mit Sahne schlürfen und mit Elias zusammen eine witzige Komödie schauen.
    Zielstrebig steuerte sie auf die Süßwarenabteilung zu. Sie brauchte abgepackte Ware, kalorienreich mit viel Zucker. Am besten etwas mit Nüssen. Das würde lang anhalten.
    Sie fand auch sofort, was sie suchte. Einen Sechserpack Schokoriegel mit Karamell und gerösteten Erdnüssen. In der Getränkeabteilung gesellte sich eine Halbliterflasche Pepsi zu ihrer Mahlzeit.
    Unter normalen Umständen hätte sie diesen Einkauf in die Mülltonne geworfen, doch in Anbetracht der Umstände waren Zucker und Koffein besser als alles andere.
    Halb joggend flitzte sie an die einzige, geöffnete Kasse. Ein junger Teenager, vielleicht Sechzehn oder Siebzehn, saß dahinter. Ein blondierter Irokesenschnitt zierte seinen bleichen Schädel. Er trug ein weites, schlabbriges Polo-Shirt in Corporate Identity des Ladens. Auf seinem Namensschild stand kein Name, sondern: Auszubildender - Ich bin freundlich. Dazu ein gelber Smilie.
    Er selbst sah alles andere als freundlich aus. Sein Blick war verklärt, schläfrig. Er wirkte müde. Dunkle Augenringe begrenzten seine Wangen. Er hatte starke Akne. Als Natalja an die Kasse trat, zuckte er überrascht zusammen. Er hatte offensichtlich mit offenen Augen geträumt.
    Natalja knallte ihm die Schokoriegel und die Flasche Cola vor die Nase auf das Band. Gleichzeitig fischte sie ihren Geldbeutel aus der Jacke.
    »Weißt du, wo ich Erik Ritters Büro finde?« fragte sie, als er die zwei Produkte in Zeitlupe piepsend über den Scanner zog.
    »Ritter?« Er klang genauso, wie er aussah. Schlaftablette. Seine Augen drückten Verwirrung aus.
    »Ja! Ritter!« Hatte sie Chinesisch gesprochen?
    »Ritter gibt’s hier net. Die gab‘s im Mittelalter.«
    Natalja starrte den Jugendlichen mit offenem Mund an. Scheinbar hatte sie sogar Mandarin genutzt. In dieser Sprache war ihre Frage natürlich harter Tobak.
    »Ich meine keine Schwerter schwingenden Ritter wie in Herr der Ringe, sondern einen Unternehmer, Erik Ritter. Er hat hier in der Nähe sein Büro. B-Ü-R-O. Hast du mich verstanden?«
    Er nickte entgeistert. »Zwei Euro, Neunundfünfzig Cent, bitte«, brachte er gedehnt hervor.
    Natalja schüttelte resignierend den Kopf. Diese Dumpfbacke würde ihr nicht weiterhelfen. Sie zählte die Münzen ab und reichte ihm den Betrag. »Stimmt so.«
    Verwirrt starrte er auf die zwei Euro, sechzig Cent. Scheinbar hatte er Schwierigkeiten zu begreifen, was sie gerade getan hatte. Als Natalja schon durch die Kasse war, hörte sie ihn rufen. »Hey!«
    Sie blieb für einen Augenblick stehen. Vielleicht hatten sich ja doch zwei Gehirnwindungen bei ihm berührt. »Probier‘s doch mal auf Facebook«, sagte er. »Vielleicht findest da deinen Ritter.«
    Am liebsten hätte Natalja laut gelacht, doch ihr blieb die Luft im Halse stecken. Händeringend schüttelte sie den Kopf.
    »Sie suchen Erik Ritter? Den Inhaber von Investment Ritter?«
    Eine Frauenstimme erhob sich neben ihr, drang zwischen Katzenstreu und Hundefutter aus einem hohen Regal. Die dazugehörige Angestellte, laut Namensschild die stellvertretende Filialleiterin, trat mit einem Etikettiergerät bewaffnet zu ihr.
    Natalja nickte hoffnungsvoll.
    »Herr Ritter ist hier Stammkunde. Er kommt öfters.« Sie warf einen vernichtenden Blick zu ihrem Azubi hinüber, der den Kopf wie ein geschlagener Hund zwischen die Schultern zog. »Sein Büro liegt drei Straßen weiter.« Die Frau deutete mit der freien Hand Richtung Norden. „Folgen Sie der Straße bis zur zweiten Kreuzung. Dann biegen Sie links ab und gleich wieder rechts. Dann sind Sie schon da.«
    »Danke!« sagte Natalja.
    Die Frau legte prüfend den Kopf schief. Musterte sie von oben bis unten.
    »Aber sie werden da heute wohl niemanden mehr treffen«, sagte sie. »Es ist Samstag. Ich kenne die Sekretärin. Die kommt fast jeden Abend nach der Arbeit hierher. Kauft Gemüse und Salat. Samstags habe ich sie jedoch noch nie gesehen.«
    Natalja nickte.
    »Trotzdem Danke. Einen schönen Tag noch.«
    »Nichts zu Danken.« Die stellvertretende Filialleitung verschwand wieder zwischen goldenen Dosen und weißen Säcken.
    Natalja verließ unverzüglich den Supermarkt. Sofort fuhr ihr wieder die kalte Luft unter den Stoff ihres Kragens. Sie

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