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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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obere Etage. Dort bog er nach links ab und betrat die Sicherheitskontrollen. Die Schlange war kurz. Er legte sein Mobiltelefon und seinen Geldbeutel in eine blaue Plastikkiste, dazu das braune Leinensakko. Heute trug er ausnahmsweise keine waldfarbenen Roben. Er hatte sie nach seinem Besuch bei Alexander Kowalski gegen Alltagskleidung getauscht. Schlichte Jeans mit Ledergürtel, geripptes Unterhemd, bequemes Baumwollhemd darüber, dazu das Sakko. Anschließend war er mit dem Taxi zum Airport gefahren.
    Der Mann hinter dem Sicherheitsportal winkte ihn gelangweilt durch, als er einen Blick in seinen Monitor geworfen hatte. Reimund packte seine wenigen Habseligkeiten wieder ein.
    Der Weg führte ihn an Geschäften vorbei, die überteuertes Essen und Getränke feilboten. Dazu gab es Schnaps, Wein, Liköre, andere Alkoholika und Zigaretten. Der penetrante Geruch von vermischten Parfüms stieg ihm in die Nase. Es roch nach frühlingshaften Wiesenblumen, Vanille, dazu Lavendel und Kokos. Für ihn roch alles nach blauem Klostein. Angewidert setzte er seinen Weg fort. Die weltlichen Dinge interessierten ihn sowieso nicht. Er hatte Wichtigeres zu tun.
    Als er nach guten fünf Minuten am Gate ankam, wartete dort nur noch ein Mitarbeiter des Flughafenpersonals am Schalter. Alle Warteplätze waren verwaist. Eine leere Chipstüte und zwei Dosen Fanta lagen auf dem Boden. Achtlos hingeworfen.
    »Herr Schell?« wurde er aufdringlich von dem jungen Mann begrüßt.
    »Ja? Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Doch doch, Sie sind nur-«, der Mann zögerte einen Moment »-spät dran. Der Flug geht in wenigen Minuten. Die Maschine ist startklar. Wir warten alle auf Sie.«
    Reimund taxierte den Burschen mit durchdringendem Blick. Er trug eine übergroße Brille mit schwarzem Rahmen. Die Augen dahinter wirkten klein und unsicher. Kommentarlos drückte Reimund dem Kerl sein Ticket und seinen Personalausweis in die Finger.
    »Dann reden Sie nicht, sondern machen Sie Ihre Arbeit«, sagte er mit einem harschen Unterton in der Stimme. Er verfehlte nicht seine Wirkung.
    Der Angestellte nickte hastig. Er war sichtlich froh, dass er Reimunds bohrendem Blick ausweichen konnte. Scheinbar hatte er eine solche Anfuhr nicht erwartet. Schleunigst checkte er die Dokumente, riss den perforierten Teil des Tickets ab und deutete ihm den Weg.
    »Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Ich wollte nicht -«
    »Schon gut«, unterbrach ihn Reimund ausdruckslos. Er hatte keinen Nerv auf diese sinnlose Zeitvergeudung. Wichtige Dinge standen an. Eine Schöpfung erforderte seine Anwesenheit.
    Reimund trat an dem Mann vorbei und befand sich wenig später im Übergangsschacht. Die Luft war trocken und kalt. Dazu hing der Geruch nach Motoröl und Seifenlauge in der Röhre. Der schwarze Boden unter seinen Füßen war mit glitzerndem Gummi überzogen, eingerahmt von Spiegelfugen und matt abgetretenem Riffelblech.
    Widerwillig beschleunigte Reimund seine Schritte. Der unnatürliche Gestank ging ihm auf die Nerven. Der abschüssige Weg bog um die Ecke, dann stand er vor einer weiteren Schwester der Schalterdame.
    »Willkommen an Bord!« Die Braunhaarige lächelte über beide Ohren, doch Reimund konnte den gelangweilten Ausdruck in ihren Augen sehen. »Möchten Sie eine Tageszeitung lesen? Gibt es gratis.«
    Reimund schüttelte nur den Kopf. Er wollte nicht lesen. Er wollte seine Ruhe!
    Brummend quetschte er sich durch den schmalen Mittelgang. Dabei erntete er grimmige Blicke von den anderen Passagieren. Er war der letzte. Er war zu spät. Wegen ihm mussten alle warten. Jaja, dachte Reimund. Leckt mich am Arsch.
    Er erreichte seine Reihe und ließ sich wuchtig in seinen Sitzplatz auf das abgewetzte Leder fallen. Neben ihm saß eine ältere Frau mit ihrem Ehemann. Zumindest hielten beide Händchen. Wahrscheinlich taten sie es nach unzählbaren Jahren das erste Mal wieder. Dass beide Flugangst hatten, war offensichtlich. Ihr stand der Schweiß auf der Stirn, glitzerte im matten Licht der Kabinenbeleuchtung. Er hingegen, ein schlaksiger Mann Anfang Sechzig mit weißem Haarkranz, war so bleich wie der Zucker, den Reimund heute Morgen in seinen Kaffee gerührt hatte.
    Reimund nickte den beiden stumm zu, dann wandte er den Blick nach vorne, Richtung Cockpit. Noch bevor er seinen Sicherheitsgurt angelegt hatte, ertönte bereits die blecherne Stimme des Piloten aus den Lautsprechern, fast vollständig überlagert vom lauten Rauschen der Lüftungen.
    Es folgte das bekannte Geleier.

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