Blut und Kupfer
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Schrecklicher Verdacht
Diejenigen, die wahre Liebe hielt, die wird sie halten.
Seneca,
»Thyestes« 551
A bt Jacobus ging mit hinter dem Rücken gefalteten Händen auf und ab. Vor dem Holzkruzifix über seinem Schreibtisch blieb er stehen und sah es lange an. Marie saß unglücklich mit geradem Rücken auf einem Stuhl und suchte mit zitternden Händen nach der tröstenden Wärme von Aras ’ Fell. Der Hund lag neben ihr und schaute sie aufmerksam an.
»Wir sollten den Büttel holen lassen, Vater Abt«, sagte Bruder Thomas, der mit gerunzelter Stirn an der Stirnseite des Tisches stand.
»Oh bitte, dürfte ich vorher gehen? Versteht mich nicht falsch, ich habe nichts zu verbergen, aber ich bin ohne Wissen meines Bruders hier und werde auch ohne diesen fürchterlichen Vorfall großen Ärger bekommen …«, sagte Marie und verstummte, als sie Thomas’ finstere Miene sah.
»Der arme Bruder Ambrosius hat fast sechzehn Jahre bei uns verbracht und hier seinen Frieden gefunden. Kaum taucht Ihr auf und fragt nach ihm, findet er einen gewaltsamen Tod. Wollt Ihr einen Zusammenhang ausschließen?«
Marie schüttelte stumm den Kopf und legte ihre zitternde Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
»Bruder Thomas! Ihr seht doch, dass unser Gast verzweifelt ist«, schaltete sich der Abt beschwichtigend ein. Er war klein, hatte ein zerfurchtes Gesicht und gütige Augen, die sie intensiv zu studieren schienen. »Was vermutet Ihr, Thomas, wie lange war Ambrosius bereits in den Händen des Allmächtigen?«
»Nun, seine Haut war noch warm. Das letzte Mal habe ich ihn heute zur Sext gesehen. Danach sind wir alle unseren Arbeiten nachgegangen, ganz wie immer.«
»Es wird also irgendwann um die Non geschehen sein«, stellte der Abt fest.
Als Katholikin wusste Marie, dass mit der Sext das Mittagsgebet gemeint war und sich die Mönche etwa drei Stunden später zur Non zusammenfanden, um die letzte kleine Hore vor der Vesper zu beten.
Nachdenklich fuhr der Vorsteher des Kapuzinerklosters fort: »Wir sind ein junger Orden hier in München und von der Gnade des Herzogs abhängig. Jeder Skandal könnte das Ende unseres Klosters bedeuten. Wir haben uns das Vertrauen der Menschen mühsam errungen. Gerüchte jedweder niedriger Natur würden unserer Arbeit schaden.«
»Aber ein Mörder läuft frei herum!«, warf Thomas ein, dem die Überlegungen des Abtes nicht zu gefallen schienen.
»Der Bruder mit der Narbe auf der Stirn, der mich eingelassen hat …«, begann Marie.
»Bruder Martin«, meinte Thomas.
»Er hat von einem anderen vornehmen Besucher heute gesprochen. Vielleicht, ich meine, es wäre doch möglich? Oder kennt Ihr jemand, der einen Groll gegen Ambrosius hegt?«, fragte Marie.
»Wie ich Euch bereits erklärte, Frau von Langenau, lässt jeder, der hier eintritt, seine Vergangenheit vor den Klostermauern zurück«, kam es missmutig von Thomas. »Aber Ihr erwähntet vier Tafeln. Erklärt uns doch, was es damit auf sich hat.«
»Oh, darüber weiß ich nichts. Wie gesagt, mein Oheim, Remigius von Kraiberg, war vor langer Zeit mit Ambrosius, der damals Melchior Janus hieß, bekannt. Gibt es denn Angehörige, die man benachrichtigen müsste?«
»Nein. Ambrosius hatte mit niemandem außerhalb dieser Mauern Kontakt.« Thomas hob ratlos die Schultern.
»Ein stiller, in sich gekehrter Mann war unser Ambrosius. Er steht nun vor dem großen Weltenrichter. Uns bleibt nur, für ihn zu beten.« Abt Jacobus kam um den Tisch herum und legte Thomas eine Hand auf die Schulter. »Du hast die Tür zu Ambrosius’ Zelle verschlossen?«
Thomas nickte.
»Gut. Vorerst kein Wort zu irgendjemandem. Das Volk ist gereizt, die Stimmung aufgeheizt. Die Lutheraner hetzen gegen uns, wo sie können, und leider machen es viele von uns, allen voran die Jesuiten, nicht besser. Ein hingemordeter Mönch wäre gerade das rechte Fressen für die Blutrünstigen.« Der Abt ging mit Thomas zur Tür. »Ich habe den Krieg in all seiner Grausamkeit erlebt, Bruder. Glaubt mir, die Hölle schreckt mich nicht mehr.«
»Aber …«
»Ich komme gleich nach oben. Nachdem ich unseren Gast beruhigt habe«, sagte der Abt bestimmt, und Thomas ging wortlos hinaus.
Jacobus schloss die Tür fest hinter Thomas und trat zu Marie. Leise und die Tür im Blick behaltend sagte er: »Ich kannte Bruder Ambrosius vor seinem Eintritt in unseren Orden. Wir sind uns im Veneto begegnet.«
Der Abt zog sich einen Stuhl heran und setzte sich vorsichtig ihr gegenüber.
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