Blut und Kupfer
»Die alten Knochen.« Er rieb sich die Knie und fuhr fort: »Von den Brüdern hier in München weiß niemand von meiner Bekanntschaft mit Ambrosius, und das soll auch so bleiben. Es sind alles brave Männer, die ihr Leben der Fürsorge für die Armen und Bedürftigen gewidmet haben. Sie wissen nichts von den unendlichen Abgründen des menschlichen Geistes. Nein.« Er schloss die Augen und dachte nach. »Die unerschöpflichen Möglichkeiten des menschlichen Geistes, so muss ich es sagen, wenn ich über Ambrosius spreche. Als Melchior Janus war er ein vielgerühmter Arzt und Gelehrter. Ich war Beichtvater eines Conte im Veneto, aus dem Geschlecht der Dandolo, aber das ist unwichtig. Seine Frau erkrankte schwer an einem Fieber, das Ambrosius, verzeiht, aber für mich wird er immer der Glaubensbruder sein, als durchreisender Arzt zu Hilfe gerufen, kurierte. Das wäre nicht weiter bemerkenswert gewesen, wenn es nicht gerade ein Unwetter gegeben hätte, das alle auf dem Castello zwang, zwei Nächte dort zu verbringen. Ich konnte nicht zurück zu meinem Orden nach Venedig und Ambrosius seine Reise nicht fortsetzen. Er wollte nach Prag, um mit gelehrten Freunden seine Studien zu vertiefen.«
Mit angehaltenem Atem hörte Marie zu.
»Euer Oheim war einer der Männer, die Ambrosius aufsuchen wollte. Des Weiteren erinnere ich mich an Thrasibaldus, der Name Codicillus fiel, und an einen Bernhard, dessen vollständiger Name mir entfallen ist.«
»Sallovinus?«
»Aber ja doch! Woher wisst Ihr das?«
»Mein Oheim erhielt vor einigen Wochen Nachricht vom Ableben seines Freundes.«
»Gewaltsam?«
»Die Möglichkeit besteht«, sagte Marie vorsichtig, denn sie wollte die entwendeten Kupferstiche nicht erwähnen.
Abt Jacobus faltete die Hände und legte sie kurz an die Lippen, bevor er weitersprach. »In jenen zwei Tagen beim Conte Dandolo erzählte Ambrosius mir von Studien, die er betrieb, heimlich, um nicht in den Fokus der Inquisition zu geraten. Ich habe ihm zugehört, weil ich davon überzeugt bin, dass die Natur voller Geheimnisse steckt, die uns die Bibel allein nicht erklären kann. Die Kirche ist sehr streng, wenn es um neue Entdeckungen geht. Ich denke, das hat vor allem den Grund, die Leute nicht zu verunsichern.«
Darüber dachte Marie entschieden anders, hörte jedoch schweigend zu.
»Ich habe mein Leben diesem Orden gewidmet und bin kein Zweifler. Aber, meine liebe Frau von Langenau«, er beugte sich vor, und Marie bemerkte die vom Alter gefleckte pergamentene Haut, »Zweifler sind es, die uns aus dem Dunkel der Unwissenheit bringen. Doch dazu braucht es Mut, und ich bin nie mutig gewesen. Deshalb habe ich Ambrosius bewundert. Er war ein Arzt, ein Heilkundiger und hätte sich als reicher Mann zur Ruhe setzen können, denn Männer wie der Conte bezahlten ihn fürstlich und hätten ihm allzu gern eine Lebensstellung verschafft, aber das wollte Ambrosius nicht. Er war auch keiner dieser Scharlatane, die sich Alchemisten nennen und behaupten, das Geheimnis der Goldherstellung zu kennen.«
»War es denn nicht das, wonach er suchte?«
»Aber nein! Er verachtete Männer wie Edward Kelley und John Dee, die sich das Vertrauen von Kaiser Rudolf erschlichen und doch nur Betrug im Sinn hatten. Kelley, sagte er, sei ein von Grund auf verderbter Mensch, aus der Gosse stammend, und tatsächlich machte er immer wieder durch Gewalttaten, Diebstahl und Betrügereien von sich reden. Ambrosius war dem Engländer in Prag und auch in Krumau am Hof des mächtigen Herrn von Rosenberg begegnet. Kelley hatte sich dann auch selbst sein übles Ende zuzuschreiben. Rudolf hat ihn mehrfach verstoßen, eingesperrt, wieder begnadigt, und irgendwann verliert sich seine Spur in Böhmen. Von der Gosse zurück in den Abgrund. Von derlei Gelichter hielt Ambrosius nichts.«
Der Abt sah zur Tür, als sich Stimmen näherten, und wartete, bis sie sich wieder entfernten. »Er erwähnte, dass er in Neapel bei Giambattista della Porta gewesen war, dessen ›Magia naturalis‹ er gelesen hatte. Kein unumstrittener Mann, die Inquisition hat ihn wiederholt in Rom verhört. Persönlich finde ich es bedeutsam, dass della Porta behauptet hat, der Hexenflug finde nur in der Phantasie der Hexen statt, und zwar nach der Einnahme von Drogen, und sei also nicht auf einen Teufelspakt zurückzuführen. Das ist ein Angriff auf die kirchliche Argumentation der Verfolgung von Zauberei und Hexen. Höchst bemerkenswert und nicht verwunderlich, dass Kaiser Rudolf daran
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