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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
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oder meinst du, ich schaff das allein?«
    Der andere Diener schnaufte und griff nach den Tauen, die als Griffe aus der Kiste ragten. Enttäuscht folgte Marie der Musik und sah den Tanzenden zu, wie sie im gemächlichen Tempo der Allemande über den Holzboden schritten. Es folgte eine Galliarde, zu der sie der Kunsthändler Hainhofer einlud, dem sie solch elegante und energiegeladene Sprünge, wie sie der lebhafte Tanz forderte, nicht zugetraut hätte. Der Augsburger führte sie gut gelaunt an die Seite und ließ ihr mit Wasser verdünnten Wein bringen. »Und nun gebt acht! Ich brenne vor Neugierde, und Tulechow weiß das ganz genau, der alte Fuchs!« Hainhofer lachte.
    Nachdem die erste Suite an Tänzen beendet war und die Gäste sich leicht erhitzt an den kleinen Erfrischungen aus Zuckereien und Getränken zu laben begannen, kamen Lakaien mit einem weiß lackierten Holzgestell herein, das sie schnell und geschickt in der Saalmitte aufbauten. Das Orchester stimmte gravitätische Klänge an, und drei Diener trugen einen unter einem Vorhang verborgenen Gegenstand herein, den sie auf dem Gestell platzierten. Alle Augen richteten sich auf das geheimnisvolle Objekt in der Saalmitte, das von dem Schein Hunderter Kerzen angestrahlt wurde. Severin von Tulechow trat hinzu und umschritt das Gestell mehrfach, bis er den dunkelroten Vorhang mit einem Ruck herunterriss und Marie die Umstehenden in entzücktes Staunen ausbrechen hörte.
    »Ich bitte nun, näher zu treten und diese Kostbarkeit, die ich unter erheblichen Schwierigkeiten in meinen Besitz bringen konnte, in Augenschein zu nehmen. Mein kunstsinniger Freund Hainhofer wird uns gewiss mehr zu diesem außergewöhnlichen Stück sagen können, das nicht nur durch seine edlen Materialien besticht.« Stolz breitete Tulechow die Arme aus und lud die Gesellschaft damit zum Schauen ein.
    Marie, die neben Hainhofer einen ungünstigen Platz hinter einem Pfeiler hatte, beobachtete, wie die Gräfin und ihr Gatte sich dem Kunstwerk näherten, und registrierte ein Aufblitzen im gelangweilten Gesichtsausdruck des Grafen. Hainhofer war schier von Sinnen vor Aufregung und klatschte begeistert in die Hände. Als Marie endlich einen Blick auf das gepriesene Kunstwerk erhaschen konnte, konnte sie einen Schrei nur mühsam unterdrücken. Was sie dort auf dem lackierten Gestell sah, war eine Tafel, eine kunstvolle, bunte Tischplatte, die genauso aussah wie die von Remigius. Sie presste eine Hand gegen die Lippen und drängte sich neben Hainhofer, der mit den Fingern sacht die Konturen der filigran geschnittenen Edelsteine nachfuhr. Nein, nicht ganz genau wie die Tafel ihres Oheims. Sie starrte fasziniert auf das Scagliola-Bild in der Tafelmitte. Dort stand kein Mann mit einem Ei in der Hand, sondern dort waren mehrfarbige Kreise zu sehen. Nicht nur Kreise, dachte Marie und sah die Bücher im Turm ihres Oheims vor sich, Bücher über die Geheimnisse der Alchemie, die er mit ihr durchgeblättert hatte. Sie hatte nicht alles verstanden und viele der komplizierten Zusammenhänge wieder vergessen, aber dieses Bild wusste sie zu deuten. Es war das Rad der Welt. Die Gottheit ist rund wie ein Rad, hatte Remigius gesagt, und kreisend in ihrer Liebe. Was sie vor sich hatte, war eine der Tafeln des da Pescia!
    Sie hob den Blick und fragte sich, wer außer ihr in diesem Raum noch davon wusste.

XV
    • •
    Steinige Wege

    Was aus einfacher und reiner Substanz besteht,
bleibt unzerstörbar in Ewigkeit.
    »Aurora consurgens«, alchemistisches Traktat, 15. Jh.

    R ot. Das äußere Rad war rot, das nächste schwarz, nein, rot und schwarz gebändert, und dann kam das graue Rad, gefolgt von Wellenlinien, die eine breite weiße Fläche umschlossen, in deren Mitte sich die Weltkugel befand. Es musste die Welt sein, weil aus dem erdfarbenen Ball die Bäume ragten. Und Landarbeiter – oder waren es Apostel gewesen? Marie nagte an ihren Fingerknöcheln und starrte aus dem Wagenfenster hinaus, ohne die vorüberziehende Landschaft wahrzunehmen. Sie wollte sich an jedes Detail erinnern, um es ihrem Oheim schildern zu können.
    Die Kutsche fuhr durch ein Schlagloch und warf Marie gegen die Innenwand, wo ihr Oberarm gegen einen Haken stieß. »Verflucht!«
    Verärgert sah sie, dass die blaue Seide ihres Ärmels gerissen war, und die Haut darunter war gerötet.
    »Soll ich den Kutscher bitten, für eine Rast anzuhalten?« Doktor Kranz beugte sich fürsorglich vor, was Maries Stimmung weiter verschlechterte, denn die

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