Blut und Kupfer
Gegenwart des Advokaten hätte sie am liebsten vergessen.
»Nein! Fahren wir weiter! Es geht schon.« Sie verscheuchte seine Bedenken wie eine lästige Fliege, und genau das war Magnus Kranz für Marie, die sich zugutehielt, dass sie zumindest Schuldgefühle hegte wegen dieses Ausflugs, den der Advokat für sie organisiert hatte. Was er sich davon versprach, war offensichtlich. Marie strich sich über den Arm, der leicht zu schwellen begann, und biss die Zähne zusammen. »Wo sind wir?«
Seit den frühen Morgenstunden war es bedeckt, und in regelmäßigen Abständen gingen Regenschauer nieder und weichten den Erdboden auf. Abseits der Hauptstraßen waren die Wege ohnehin nur eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern, und zu viel Wasser in kurzer Zeit spülte auch den letzten Kiesel in die Gräben rechts und links des Weges. Sie hatten München am Sonntag verlassen und die Nacht in einer einfachen Herberge zugebracht. Sobald die letzte Lampe verloschen war, hatten sich die Wanzen über die Gäste hergemacht, was die juckenden Quaddeln an Maries rechter Wade bezeugten. Der Gestank beim Betreten der Frauenschlafkammer hätte ihr Warnung genug sein müssen.
»In einer Stunde könnten wir das Gut erreicht haben«, sagte Kranz. Sein weiches Gesicht drückte Mitgefühl aus, als er fortfuhr: »Ihr wirkt bekümmert. Sorgt Ihr Euch um Euren Oheim?«
»Natürlich tue ich das«, erwiderte sie. »Ich wünschte, ich hätte ihn nicht allein lassen müssen!«
»Ja, das ist verständlich, doch Euer Oheim ist doch wohlversorgt, zumindest …«
Ihr verächtlicher Blick ließ ihn verstummen.
»Ich versuche nur, höflich zu sein«, nahm Kranz den Faden nach Minuten drückenden Schweigens wieder auf. »Ich wollte mit Eurem Bruder eigentlich die Details einer ehelichen Verbindung besprechen.«
Ihre Selbstsicherheit schmolz wie Eis in der Frühlingssonne.
»Immerhin habt Ihr diese Reise mir und meinem Einfluss bei Hof zu verdanken.«
Unter der aufgesetzten Maske des Mitgefühls versteckte sich der kalkulierende Beamte. »Danke, dass Ihr mich daran erinnert habt.«
Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen, doch sie war unkonzentriert und unachtsam und auf den folgenden Übergriff nicht gefasst. Ungeschickt drängte Kranz sich plötzlich neben sie und versuchte, sie zu küssen. Feuchte wulstige Lippen glitten von ihrer Wange ab, als sie das Gesicht blitzartig abwandte, mit aller Kraft nach ihm zu treten begann und schließlich einen Schlag in Augennähe landen konnte, der ihn von seinem unsittlichen Vorhaben Abstand nehmen ließ.
»Ihr widert mich an! Wie konntet Ihr das tun? Ich habe Euch vertraut!« Außer sich vor Wut und Scham wechselte sie auf die gegenüberliegende Bank und zog sich in die äußerste Ecke zurück. Wäre Aras doch nur bei ihr!
Der Advokat wischte sich mit einem Taschentuch über das verschwitzte Gesicht und richtete sein Wams, dessen obere Knöpfe aufgesprungen waren. Unterhalb seines rechten Auges glühte seine Wange, und er starrte sie mit einer Mischung aus Wut und Überraschung an. »Verehrteste, dass Ihr mich nur als Mittel zum Zweck benutzt habt, ist mir nicht entgangen. Ich bin nicht reich genug, um den vollendeten Galan zu spielen.« Er stützte sich auf den Knien ab und beugte sich vor, so dass ihr sein nach Zwiebeln stinkender Atem entgegenschlug. »Und Ihr seid nicht in der Position, große Ansprüche stellen zu können. Macht Euch nicht lächerlich!«
»Ich bin es nicht, die sich hier lächerlich macht!« Mit sittsam gefalteten Händen sah sie ihn kühl an. Sie hatte ihn unterschätzt. Hinter der Hülle des weichlichen Advokaten verbarg sich ein hitziger und berechnender Mann, der nun in seinem Stolz verletzt war. Wenn er noch dazu rachsüchtig war, würde er ihr und Georg bei Hof schaden, wo er Gelegenheit dazu fand. Und Georg hatte weiß Gott genug Schwierigkeiten! Hinter Kranz’ gerunzelter Stirn konnte sie die verschiedenen Möglichkeiten förmlich Gestalt annehmen sehen, die er eine nach der anderen erwog.
Plötzlich beugte er sich aus dem Fenster und rief dem Kutscher zu: »Halt beim nächsten Gehöft an, das am Weg liegt!«
»Da vorn kommt eine Kate. Dort nicht, oder?«, brüllte der Kutscher zurück.
»Doch, genau dort«, rief Kranz und sah Marie dabei hämisch an. »Das wird unserer hochnäsigen Dame eine Lehre sein. Aber vielleicht fühlt Ihr Euch in Gesellschaft von Tagelöhnern und Strauchdieben ohnehin wohler.«
Ihre mühsam errichtete Fassade der Würde begann zu
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