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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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genommen.«
    »Keine Frage. Aber die Nachforschungen konzentrierten sich auf einen bestimmten Tätertyp – Sexualverbrecher mit einschlägiger Vorstrafe. Bislang ergebnislos. Und die zweite Leiche wurde erst heute morgen gefunden.«
    »Was wissen wir über das zweite Opfer?«
    »Die Leiche wurde von einem Austräger der Wenhui Tageszeitung entdeckt. Der Junge hat die Zeitung im Schaukasten ausgewechselt. Er hat ihr das Kleid über die Schenkel heruntergezogen und das Gesicht mit einer Zeitung bedeckt, dann hat er statt bei uns in der Redaktion angerufen. Als wir hinkamen, hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt. Die Leiche wurde vermutlich sogar umgedreht. Die Befunde dort sind also letztlich wertlos.«
    »Hat sich die Gerichtsmedizin schon geäußert?«
    »Noch nicht. Bislang liegt nur ein erster Bericht vom Fundort vor. Wieder Tod durch Ersticken. Auch diesem Opfer scheint keine sexuelle Gewalt angetan worden zu sein, aber wie die erste Frau trug sie nichts unter ihrem qipao .« Liao holte weitere Fotos aus seiner Schreibtischschublade. »Keine Samenspuren, weder vaginal noch oral, auch anal kein Befund. Die Jungs von der Spurensicherung haben sie auf noch so vage Fingerabdrücke hin untersucht, sie haben nicht das winzigste Härchen, die kleinste Spur an der Leiche gefunden.«
    »Könnte es sich um einen Nachahmer handeln?«
    »Wir haben die beiden Kleider untersucht. Derselbe Stoff mit aufgedrucktem Muster, auch der Schnitt ist derselbe. Niemand hätte diese Details genau kopieren können.«
    »Was haben Sie sonst noch unternommen?«
    »Eine Meldung mit Foto ist rausgegangen. Es gab bereits zahlreiche telefonische Hinweise. Die Sache läuft auf Hochtouren.«
    »Auch wenn Li den Begriff Serienmörder nicht leiden kann«, bemerkte Yu, »wir dürfen die Möglichkeit nicht ausschließen. Womöglich haben wir in einer Woche die dritte Leiche im roten qipao .«
    »Ein Serienmörder in Shanghai ist politisch undenkbar. Deshalb hat Li ja auch die Sonderkommission eingeschaltet.«
    »Falls es sich tatsächlich um einen Serienmörder handelt«, sagte Yu, dem die Rivalität zwischen den Abteilungen durchaus bewußt war, »müssen wir ein Täterprofil erstellen.«
    »Solche Kleider sind teuer, also ist er vermutlich reich. Er besitzt ein Auto und lebt allein, entweder in einem Apartment oder in einer Villa. Mit Sicherheit nicht im Einzelzimmer eines shikumen -Hauses, zusammengepfercht mit zwanzig anderen Familien. Sonst hätte er wohl kaum unbemerkt die Leichen wegschaffen können.«
    »Stimmt.« Yu nickte. »Außerdem ist er ein Einzelgänger, ein Perverser. Die Opfer waren splitternackt, wurden aber nicht auf die übliche Weise vergewaltigt. Es muß sich um einen Psychopathen handeln, der aus diesen rituellen Tötungen seine Befriedigung zieht. Der rote qipao ist sein Markenzeichen.«
    »Ein Psychopath mit perversen Sexualpraktiken?« rief Liao. »Nun mal langsam, Hauptwachtmeister. Das klingt mir ganz nach diesen Krimis, die Ihr Chef übersetzt. Mit solchem psychologischen Kauderwelsch können wir hier nichts anfangen.«
    »Aber ein psychologisches Profil könnte uns vielleicht weiterbringen«, erwiderte Yu. »Ich muß das in einer von Chens Übersetzungen gelesen haben, aber das ist lange her.«
    »Mein Profil hält sich an die Tatsachen und hilft immerhin, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen. Die weniger Begüterten fallen damit schon mal weg.«
    »Und was ist mit den Kleidern?« fragte Yu, der eine Konfrontation mit Liao vermeiden wollte.
    »Ich hatte vor, eine Belohnung auszusetzen, aber Li hat den Vorschlag verworfen, zu viele Falschmeldungen …«
    Ihr Gespräch wurde von Liaos Assistentin Hong, einer jungen Absolventin der Shanghaier Polizeihochschule, unterbrochen. Ein hübsches Mädchen mit strahlendweißen Zähnen; man munkelte, ihr Freund sei Zahnarzt und habe im Ausland studiert.
    »Ich werde mir die Akten mal genauer ansehen«, sagte Yu und stand auf. Beim Hinausgehen schoß ihm durch den Kopf, daß Hong eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ersten Opfer hatte.

3
    OBERINSPEKTOR CHEN WAR auf dem Weg zur Shanghaier Stadtbibliothek.
    Er hatte sich an diesem Morgen für die Strecke entlang der Nanjing Lu entschieden und dachte gemächlich schlendernd über ein Thema für seine erste Seminararbeit nach.
    Kurz vor der Fujian Lu blieb er bei einer Baustelle stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Vor ihm lag der Straßenzug mit seinen neuen Geschäften und Schildern, selbst die wenigen

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