Blut und rote Seide
gekommen.
Genaugenommen waren sie doch nur eine weitere Interpretation dieser alten Texte. Vielleicht gab es tatsächlich einen der arrangierten Heirat geschuldeten, liebesfeindlichen Diskurs in der chinesischen Kultur oder so etwas wie eine chinesische femme fatale . Aber was brachte diese Erkenntnis schon? Jede Geschichte war anders und jeder Autor auch. Der Literaturwissenschaftler konnte sie ebensowenig mit einer einzigen Theorie erfassen, wie der Kriminalbeamte seine Fälle.
»Ich werde es mir überlegen, Professor Bian. Ein paar neue Ideen zum Bedeutungswandel der ›Durstkrankheit‹ hätte ich schon.«
Vielleicht würde er dieses Projekt später einmal zu Ende bringen, vorerst mußte er es zu den Akten legen.
Momentan gab es dringlichere, naheliegendere Probleme. Auch für den Mordfall galt, daß eine Teillösung unbefriedigend bliebe. Immerhin würde es keine weiteren Opfer geben. Als Polizist mußte er die Sache nicht unbedingt auf den Punkt bringen. Insofern unterschied sich seine Arbeit von der eines Literaturwissenschaftlers. Und in diesem Fall konnte nicht einmal er so genau sagen, wo der Punkt überhaupt lag.
»Werden Sie das Literaturstudium fortsetzen?« unterbrach Yu seinen Gedankengang.
»Ich glaube nicht. Machen Sie sich keine Gedanken, Yu«, erwiderte Chen. »Aber diese Seminararbeit möchte ich zu Ende bringen. Ob Sie es glauben oder nicht, sie hat mir bei der Aufklärung des Falles geholfen.«
Die Antwort schien Yu zu erleichtern. »Ach, da ist ja noch ein Blatt Papier in dem Umschlag.«
»Ja, ein Gedicht.«
»Sollen Sie das veröffentlichen?«
Chen nahm das Blatt entgegen und las:
Mutter, ob wohl das ferne Echo verrät,
was damals mit mir geschah?
Besucher im Herrenhaus von früh bis spät,
sehen nur, was jedermann sah.
Vom Bild in jenem roten Gewand,
komme ich einfach nicht los.
Deine nackten Füße, die weiche Hand
Wie vergesse ich sie bloß?
Und doch sind wir wie festgebannt
im Moment, als der Auslöser klickte,
wo doch am fernen Horizont
die Wolke schon Regen schickte.
Nichts anderes höre und sehe ich mehr,
Mutter, trink du den Becher für mich leer.
»Aber auf dem Foto war doch gar kein Becher zu sehen«, bemerkte Yu verwundert.
Chen war sich nicht sicher, ob Jia damit auf Hamlet anspielte, wo die Königin für ihren Sohn den Giftbecher trinkt. Er erinnerte sich vage, während des Studiums einmal eine freudianische Interpretation des Dramas gelesen zu haben.
»Es geht um Hamlet und seine Mutter«, erklärte Chen und ließ es damit bewenden. »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als in einem Fallbericht stehen.«
»Das ist zu hoch für mich«, bemerkte Yu, dem der Schädel brummte wie eine Kinderrassel.
DANKSAGUNG
Wie immer bei meinen Büchern gibt es eine lange Liste von Menschen, denen ich für ihre Hilfe dankbar bin. Diesmal sind es vor allem Lin Huiyin, die berühmte Shanghaier qipao -Designerin, die mir eine Lektion ihres Fachwissens hat angedeihen lassen; Patricia Mirrlees, eine Freundin, der ich vor zwanzig Jahren in Beijing begegnete und die mich seither unterstützt, und natürlich Keith Kahla, mein Verleger von St. Martin’s Press, dem ich für seine hervorragende Arbeit danke.
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