Blut und Rüben
politisch aktiv, meine Liebe?«, hörte ich den Landrat fragen.
»Wie meinen Sie das?«
»Diese unangemeldete Demo neulich. Es liegt eine Anzeige wegen Landfriedensbruch gegen Sie vor.«
»Aber dagegen wirst du doch etwas unternehmen, Heinz-Hubert?«, sagte seine Gattin empört.
Dann waren sie außer Hörweite.
Es wurde Viertel vor sechs. Allmählich wurde ich nervös. Noch war keiner der Hauptakteure vorgefahren.
Meine Geduld wurde noch zwei weitere Minuten auf eine harte Probe gestellt. Dann tauchte Sparkassendirektor Krautkrüger auf. Er fuhr mit einem protzigen SUV auf den Hof. Ich ging davon aus, dass ihm für Dienstfahrten ein dezenteres Fahrzeug zur Verfügung stand. Er sprang aus dem Fahrzeug, und ich staunte nicht schlecht, ihn ganz salopp in Barbourjacke und Jeans zu sehen.
Ich begrüßte ihn mit Handschlag. »Ich hoffe, Sie haben Ihre Rolle gut einstudiert.«
Er stellte mir seine Frau vor. Sie war blond und schön und nichtssagend, vielleicht spielte aber auch sie nur eine Rolle.
Ich führte die beiden zu ihrem Tisch.
Als ich mich wieder nach draußen begeben wollte, kam Dr. Haselmann von der Zuckerfabrik gerade zur Tür herein. Auch er hatte seine Gattin im Schlepptau. Er spielte keine größere Rolle in meinem Ablaufplan, aber es war gut, ihn heute Abend dabeizuhaben. Außerdem kannten ihn die meisten Bauern.
Zehn vor sechs. Dreiviertel der Tische waren besetzt. Plötzlich war Ollie neben mir.
»Info aus der Küche: Die Suppe kann in zehn Minuten angerichtet werden«, sagte er.
»Bitte Rolf, noch fünf Minuten länger zu warten. Mindestens!« Meine Blicke waren nach wie vor auf die Auffahrt gerichtet. Ollie nickte und verschwand wieder. Ein klappriger VW Passat fuhr auf den Hof. Der rote Lack war ausgeblichen. Der Wagen parkte, und Wattenberg junior stieg aus. Das heißt, er wälzte sich heraus. Ich schätzte ihn auf mindestens zwanzig Jahre regelmäßigen Doppel-Whopper-Konsum. Drei Zentner Lebendgewicht waren da mit der Zeit zusammengekommen. Mit seinen langen fettigen Haaren, die ihm bis zur Schulter reichten, hatte er Ähnlichkeit mit Meat Loaf. Dem jungen Meat Loaf, der in der Rocky Horror Picture Show seinerzeit den Eddie spielte.
Plötzlich hatte ich ein Déjà-vu. Ich sah die beiden dunklen Schatten wieder vor mir. Ich sah sie auf mich zukommen. Der eine mit dem Messer – das war er gewesen.
Breitbeinig kam er herangestiefelt. Als Einziger von den Gästen schien er sich nicht umgezogen zu haben. Er trug noch seinen Arbeitsoverall.
Ich fing ihn an der Tür ab. »Guten Abend, Herr Wattenberg. Darf ich Sie zu Ihrem Platz führen?« Es fiel mir nicht leicht, meine Beklemmung zu überspielen. Ich spürte, wie mein Herz gegen die Rippen klopfte. Die Angst meldete sich zurück. Die ganz natürliche Reaktion des Körpers auf eine Gefahr ...
»Jetzt mach mal nicht so auf förmlich, Alter. Wir sind uns doch schon ein paar Mal über den Weg gelaufen.«
Also erinnerte er sich an mich. Ich hatte ihn höchstens mal an der Tankstelle seines Vaters gesehen. Das musste ein paar Jahre her sein, sonst hätte ich mich besser an ihn erinnert. Gesprochen hatten wir noch nie ein Wort miteinander.
Ich führte ihn hinein. »Wo haben Sie Ihren Vater gelassen?«, fragte ich wie beiläufig.
Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, bin ich sein Kindermädchen oder was?«
Wattenberg junior wurde mir immer sympathischer.
An seinem Overall waren dunkle Flecken und einige Federn zu sehen. Er bemerkte meinen Blick.
»Habe bis vorhin noch einigen Hühner den Hals umdrehen müssen«, grinste er. »Samstag ist Markt.«
»Setzen Sie sich doch schon mal«, sagte ich und zeigte ihm seinen Platz. »Gleich kommt jemand und nimmt Ihre Bestellung auf.«
Ich ließ ihn allein und stieß am Eingang fast mit Armin zusammen. Er trug einen altertümlichen Samtblazer, ein Rüschenhemd und Jeans.
»Komme ich zu spät?«, fragte er gehetzt.
»Nein, gerade rechtzeitig.« Ich versuchte, irgendeinen Hinweis an seinem Auftreten zu finden, wo er wohl vorher gewesen sein mochte.
»Was guckst du so komisch?«, fragte er. »Stimmt was nicht mit mir?«
»Alles in Ordnung. Ich bin nur etwas nervös.«
»Ist das denn hier dein Laden?«
»Zumindest hänge ich mit meinem Geld hier drin. Erzähle ich dir später genauer. Hautsache, du bist erst einmal hier.«
Ich führte ihn an denselben Tisch, an dem ich zuvor Wattenberg junior platziert hatte.
»Ihr kennt euch ja«, sagte ich.
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Armin. Er
Weitere Kostenlose Bücher