Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
Vom Netzwerk:
Rückfahrt vom Starnberger See hatte ich erneut in der Happy-Toys-Filiale gehalten.
    »Haben Sie noch mehr Enkel?«, hatte mich die freundlich lächelnde Verkäuferin gefragt. Sie hatte mich wiedererkannt.
    »Nein, diesmal ist es für mich.«
    Ihr Lächeln hatte sich daraufhin vertieft. Wahrscheinlich hielt sie mich für einen jener Männer, die nie erwachsen werden.
    »Wissen Sie, was? Ich habe sogar noch ein Puppenhaus.«
    »Na dann viel Spaß damit«, sagte ich und verließ den Laden mit mehreren bunten Schachteln. Ich hatte mich für die gesamte Polizeikollektion entschieden. Fortan spielte ich Räuber und Gendarm. Immer wenn ich nicht weiterwusste oder mir erst selbst über einen Fall klar werden wollte. Manchmal war es auch kein Fall, sondern es waren einfach nur Dinge, die mich bewegten. Mehr und mehr auch private Dinge.
    Mit Hilfe der Playmobilmännchen wurde ich mein eigener Psychologe. Manchmal stellte ich den Figuren auch nur Fragen, so wie andere die Karten befragen oder ein Ouija-Brett.
    Es funktionierte nicht immer. Aber immer öfter. Und wenn es nur dazu diente, mich abzulenken und mich zu entspannen.
    Erst ein paar Jahre später sah ich im Fernsehen, dass auch die Kollegen Psychotherapeuten sich der Spielfiguren im Rahmen der Familienaufstellung bedienten.
    Seit meinem Rückzug ins Private hatte ich die Figuren nicht mehr angefasst. Sie waren Gift. Wie alles, was mit meiner Vergangenheit zu tun hatte. Zusammen mit anderen Giften lagerten sie noch immer in einem Umzugskarton, den ich niemals ausgepackt hatte. Ordner mit meinen Artikeln lagen darin. Verträge. Notizbücher mit Telefonnummern, mit den Nummern von hohen Politikern und kleinen Ganoven. Damals hatte ich die Figuren gehütet wie einen Schatz, heute bereitete mir schon ein Blick darauf körperliches Unbehagen. Ich lief in die Küche und zog mir ein paar Topfhandschuhe über die Hände. So funktionierte es schon besser.
    Mit äußerstem Widerwillen trug ich den Karton nach oben ins Arbeitszimmer. Ich fragte mich, warum ich mir das antat.
    Die Antwort war leicht: Zwei Menschen waren gestorben. Zwei Menschen, die ich gut gekannt hatte.
    Einer von ihnen, der Major, erst vor einem Monat. Ich öffnete den Karton, griff nach einem der Playmobilmännchen und stellte es auf die Tischplatte. Ich hatte wahllos hineingegriffen. Da ich die überdimensionalen Handschuhe trug, konnte ich nichts ertasten. Das Playmobilmännchen stellte einen Soldaten dar. Das war jetzt wirklich Zufall.
    Der Major war zeitlebens Soldat gewesen. Zwar hatte ich ihn nur auf Fotos und Gemälden in Uniform gesehen, aber er hatte auch im Zivilleben stets gewirkt wie ein Offizier.
    Als der Major vor einem Monat auf spektakuläre Weise starb, hatten die Umstände des Todes den gesamten Teutoburger Wald zunächst in helle Aufregung versetzt. Der Major pflegte gewisse schräge Gewohnheiten. Dazu gehörte sein morgendliches Bad in einem eiskalten Moorteich, der sich unweit des Hauses befand. An besagtem Tag, dem Tag seines Todes, erschien er nicht zum Frühstück, sodass sich die Gräfin die allergrößten Sorgen machte. Zumal selbst Duffy nicht wusste, wo sein Herr geblieben war. Die Gräfin bat mich händeringend um Hilfe. Ich erinnere mich noch zu gut an den Morgen. Es war kalt und ungemütlich; ein dichter Nebel hatte sich über die Landschaft gelegt wie eine graue Decke. Ich verspürte ein Kratzen im Hals und hatte Fieber.
    Zunächst nahm ich die Besorgnis der Gräfin nicht ernst. Erst nach einer heißen Milch mit Honig und nachdem ich mich entsprechend warm angezogen hatte, stiefelte ich los, um mich in der Umgebung umzusehen. Luna nahm ich mit. Sie zog ungewöhnlich stark an ihrer Leine und winselte. Luna war wie vernarrt in den alten Knaben. Kein Wunder, denn er hatte stets ein Leckerli für sie dabei. Mir kam eine Idee. Ich ging zurück und bat die Gräfin um ein getragenes Kleidungsstück, am besten den Schlafanzug. Sie zog zwar pikiert eine Augenbraue hoch, kam aber bald mit einem gestreiften Nachthemd zurück. Ich hatte Glück, dass er zumindest in den Wintermonaten überhaupt eines trug. Im Sommer pflegte er nackt zu schlafen.
    Luna gebärdete sich wie verrückt, nachdem sie an dem Nachthemd gerochen hatte. Noch stärker als zuvor zog sie an der Leine. Die Externsteine waren viereinhalb Kilometer weit entfernt. Geschätzte Luftlinie. Es dauerte daher eine Weile, bis ich schließlich vor den gewaltigen Kalksteinriesen stand, deren Gipfel in der Wolkendecke nicht zu sehen

Weitere Kostenlose Bücher