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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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Londoner Börse verzockt«, erläuterte Ollie beflissen. Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Tja, die Krise ist auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen.«
    Allmählich begann ich zu verstehen.
    »Das heißt, Sie haben keinen einzigen Cent?«
    »Noch nicht einmal einen Penny, nein!«
    »Aber Ihr Wagen?«
    »Bist du noch so in den Miesen, kannst du dir noch immer einen Porsche leasen. Oder einen Morgan. Das war schon immer mein Traum. Ich habe ihn einen Monat vor Beginn der Krise geleast. Die Autoverleihfirma existiert inzwischen auch nicht mehr. So gesehen gibt es niemanden, dem ich den Wagen zurückerstatten könnte.« Er kratzte sich am Kopf. »Je mehr ich darüber nachdenke, desto verzwickter erscheint mir diese Angelegenheit. Glauben Sie, man wird mich bis nach Deutschland verfolgen?«
    »Ach, wir haben jetzt ganz andere Sorgen«, erklärte ich. Ich ergriff die Hand der Gräfin und schüttelte sie sacht. »Mein Beileid.«
    Sie schniefte. »Nicht wahr? Verstehen Sie jetzt, warum ich Sie rufen ließ: Ollie hat keinen einzigen Penny!«
    »Aber das sagte ich doch bereits«, mischte sich der Genannte in unser Gespräch. »Und eben deswegen bin ich so verdammt froh über die Erbschaft. Ich werde schnell wieder zu Geld kommen, glaubt mir. Schließlich habe ich nicht umsonst in Oxford Wirtschaftswissenschaft studiert und anschließend bei einer der angesehensten Privatbanken Englands angeheuert.«
    »Wer sagt es ihm?«, fragte die Gräfin verzagt.
    Jetzt wusste ich, warum sie mich gerufen hatte. »Ich brauche jetzt auch einen Bruichladdich!«, erwiderte ich, um Zeit zu gewinnen. Ollies Blick fiel auf mich. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er fröhlich. »Sie dürfen natürlich alle hier wohnen bleiben.«
    »Das ist sehr fürsorglich von Ihnen«, sagte ich. Freundschaftlich klopfte ich ihm auf die Schulter. Gleichzeitig bedeutete ich Duffy, ein Glas mit dem kostbaren Whisky zu füllen.
    »Setzen Sie sich«, befahl ich Ollie. Ich wartete, bis Duffy eingeschenkt hatte. »Und jetzt trinken Sie. Am besten noch einen zweiten gleich hinterher.«
    Ich überlegte, wie ich es ihm schonend beibringen konnte. Vielleicht am besten, indem ich ihn möglichst sentimental stimmte.
    »Was, Ollie, wissen Sie eigentlich von Ihrem Großonkel?«
    Ollie überlegte. »Hm, auf jeden Fall verstand er eine ganze Menge von gutem Whisky!«
    Ich gab Duffy einen weiteren geheimen Wink, dass er nachgießen solle, während ich weiter versuchte, die Quelle der Erinnerung anzuzapfen.
    »Aber das wird doch hoffentlich nicht alles sein, an das Sie sich erinnern?«
    Hinter Ollies Stirn arbeitete es sichtlich. Er legte die Stirn in Falten, lehnte sich behaglich zurück und faltete die Hände über dem flachen Bauch. Zudem schloss er die Augen.
    Als ich schon dachte, er sei sanft entschlummert, sodass ich meine Frage ein zweites Mal stellen wollte, antwortete er:
    »Ich habe meine Eltern nie kennengelernt. Sie starben kurz nach meiner Geburt. Ich habe die elterliche Geborgenheit zum Glück nie vermisst, da meine beiden Tanten mütterlicherseits mich liebevoll großzogen. Im Laufe der Zeit dezimierte sich unsere weitere Verwandtschaft zusehends, bestand sie doch ausschließlich aus alten Knackern und schrecklichen Krähen. Alle hielten sie sich für etwas Besseres, weswegen sie auch selten ehrlicher harter Arbeit nachgingen und verarmt starben. Als ich klein war, besuchte uns ab und zu ein hochgewachsener Mann aus Germany. Alle nannten sie ihn ehrfurchtsvoll den Major. Er war mein Großonkel. Onkel Reginald nannte ich ihn, und er war so ganz anders als alle anderen Möchtegern-Adeligen aus meiner Familie – abgesehen von meinen rührigen Tanten, die wirklich alles für mich taten. Ihr wisst ja, dass Onkel Reginald schon vom Äußeren her eine imposante Erscheinung war: fast zwei Meter groß, hager, mit einem Gesicht, das, wenn man es auf dem Foto auch nur kurz betrachtete, pure Ehrfurcht einflößte. Er besuchte uns meistens zu Weihnachten und beschenkte mich mit Spielzeugpanzern und Zinnsoldaten.« Er schwieg kurz.
    »Onkel Reginald ist es zu verdanken, dass ich so gut Deutsch spreche. Von klein auf wollte ich in seine Fußstapfen treten, und ich träumte davon, ihn in Deutschland zu besuchen. Ich las alle deutschen Bücher, die mir in die Finger kamen: Grimms Märchen, Pucki , Nesthäkchen , Hanni und Nanni ... Als ich sieben Jahre alt war, kam Onkel Reginald etwas früher als sonst zu Besuch. Er regte sich furchtbar darüber auf, dass ich

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