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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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Mädchenkleider trug. Nun ja, da kam alles ans Licht.«
    »Sie trugen Mädchenkleider?«, entfuhr es mir. Das würde vieles erklären. Das, was ich für Snobismus gehalten hatte, war allein die Folge seines Verdrängungskonfliktes. Er war schwul.
    »Ja, von frühester Kindheit an. Tante Agatha und Tante Eugenia wünschten sich so sehr ein Mädchen. Also zogen sie mir Mädchenkleider an. Da ich in jungen Jahren selten mit anderen Kindern spielte, wurde mir dieser Unterschied nicht bewusst. Jedenfalls machte er mir nichts aus. Bei offiziellen Anlässen oder wenn sich Besuch ankündigte, wie eben Onkel Reginald, trug ich Jungenkleider. Die Tanten erklärten, das sei unser gemeinsames kleines Geheimnis. Ich fühlte mich geehrt, weil sie mich zu ihrem Verbündeten erklärten, und machte den Spaß halt mit.«
    »Und Sie sind sicher, dass Sie – eh – keine bleibenden Schäden davongetragen haben?«, fragte ich nach.
    Er breitete theatralisch die Arme aus. »Sehen Sie mich an! Und dann urteilen Sie!«
    »Später«, wiegelte ich ab. »Sie wollten erzählen, wie es zu dem Zerwürfnis kam.«
    »Als Onkel Reginald mich in Mädchenkleidern vorfand, wurde er furchtbar wütend. Er schrie schlimme Wörter.«
    »Was für Wörter?«
    »Wörter wie Schwuchtel, Bettnässer und kleiner Homo. Wörter, die natürlich nicht für meine Ohren bestimmt waren, die mich jedoch nichtsdestotrotz verletzten. Immerhin wusste ich, was ein Bettnässer war. Er verlangte, dass meine Tanten sofort mit der Kostümierung aufhören sollten. Auch sollte mir untersagt werden, weiterhin mit Puppen und Kinderwagen zu spielen. Meine Tanten weigerten sich. Von wegen, er ließe sich nur einmal im Jahr sehen und hätte ihnen daher nicht reinzureden. Dann würden sie ja sicher auch auf den Scheck, den er ihnen jeden Monat schickte, gerne verzichten, gab er zurück. So gab ein Wort das andere, bis meine Erzieherinnen keine andere Möglichkeit mehr sahen, als ihn des Hauses zu verweisen. Ihr Krähen seht mich nie wieder!, waren Onkel Reginalds letzte Worte. Mir strich er bei seinem Abschied über den Kopf, murmelte etwas wie poor boy und verschwand auf Nimmerwiedersehen aus meinem Leben.«
    »Wenigstens hatten Sie noch Ihre Tanten.«
    »Sie ertranken vor zwei Jahren im Loch Lomond.«
    »Beide?«
    »Tante Agatha war eine sehr gute Schwimmerin, allerdings – nun ja – auch schon betagter. Sie erlitt vermutlich einen Krampf, als sie etwa zwanzig Meter weit hinausgeschwommen war. Tante Eugenia sprang ihr sofort hinterher, um sie zu retten. Leider war sie eine lausige Schwimmerin. Ein Strudel erfasste sie und zog sie in die Tiefe. Auch Tante Agatha konnte sich nicht mehr lange an der Oberfläche halten. Es war ein nebliger Tag. Außer den beiden waren keine anderen Badegäste da. Keine helfende Hand, die hätte zupacken und ihrer beider Leben retten können. Seitdem bin ich mutterseelenallein auf der Welt.«
    Er nahm einen weiteren Schluck Whisky und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
    »Mein armer Junge!«, schluchzte die Gräfin. »Nur zu gut weiß ich von deinem Schicksal. Als wir vor zwei Jahren die Trauerkarte erhielten, bekniete ich den Major, zu der Beerdigung zu gehen. Doch der Groll wogte noch immer zu stark in ihm.«
    »Wie dem auch sei«, sagte ich. »Jetzt sind Sie hier gelandet.«
    »Ja, und ich bin sehr froh darüber. Zumal nach dem Desaster an der Börse.«
    Ah ja, da war ja noch etwas. Ich hatte es während seiner letzten Sätze verdrängt. Etwas, das ich ihm unbedingt mitteilen musste. Ja, weshalb ich überhaupt hierher gerufen worden war.
    Aber zuvor brauchte auch ich noch einen Bruichladdich. Schließlich stellte ich mich der Aufgabe. Mir fiel einfach kein weiterer Aufschub ein.
    »Ollie«, begann ich mit sanfter Stimme. »Wie hoch schätzen Sie denn das Vermögen des Majors?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Er war schon damals reich. Dazu kam, dass der alte Knabe als sehr sparsam galt. Und seine Pension war sicherlich nicht von schlechten Eltern. Zu guter Letzt war er nie verheiratet. Wer also hätte sein Geld für ihn ausgeben sollen?«
    »Ihre Argumentation ist bemerkenswert schlüssig«, lobte ich ihn. »Allerdings wissen Sie nicht alles über Ihren Onkel. Vor zwei Jahren verliebte er sich, rüstig wie er noch war, in eine Thailänderin, die ihn überredete, sein Erspartes in eine Hotelkette in Bangkok zu investieren. Das Geschäft erschien überaus lukrativ. Keine Sorge, Ihr Onkel hat das Geld nicht leichtfertig investiert. Die Hotelkette

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