Blut und Rüben
Augenpaar anstarrte, das aufgrund der dicken Brillengläser so riesig wirkte wie zwei Hühnereier. Zweifelsohne, ich hatte es mit der Assistentin von Dr. Mabuse zu tun!
Der schmallippige, mit einem leichten Flaum von Damenbart verzierte Mund öffnete sich und sie sprach:
»Ihre Stimme kenne ich doch!«
Und ich erkannte SIE. Steffi Klug! Es war unverkennbar ihre Stimme! Allmorgendlich war ich von ihr geweckt worden. Vielmehr: hatte mich wecken lassen. Es war eine in Jahren sorgfältig gewachsene Hassliebe, die mich mit der Stimme verband. Natürlich war in der ganzen Zeit ein Bild von ihr in mir entstanden. Bestenfalls hatte ich sie mir als nichtssagendes Blondchen vorgestellt – bei dem Gedanken entschuldigte ich mich insgeheim bei allen intelligenten Blondinen, die ich kannte. Aber nie hätte ich geglaubt, dass sie derart unattraktiv daherkam.
Jeglicher Groll fiel in mir in nichts zusammen. Steffi Klug war genug gestraft. Das Leben hatte sie gestraft. Fortan, so schwor ich, würde ich Milde walten lassen, wann immer ihre Stimme mich aus meinen allmorgendlichen Träumen erweckte.
»Sie schauen drein wie sieben Tage Regenwetter.« Ihre – zugegeben – nach wie vor liebreizende Stimme katapultierte mich zurück in die Wirklichkeit.
Ich konnte ihr unmöglich sagen, dass ihr Anblick es war, der mich derart erschüttert hatte. Also schwieg ich.
»Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrem Begleiter – ich nehme an, Sie sind Herr Dickens?«
Sie wandte sich zu Ollie.
Ollie stand da wie erstarrt. Auf seinem Gesicht jedoch erblühte ein seliges Lächeln.
»Ich meine, ist es korrekt, wenn ich ihn mit Herr Dickens anspreche? Mister klingt so unvertraut, finde ich.«
»Hmhm«, meldete sich jetzt auch Ollie zu Wort.
»Also Herr Dickens, okay?«
»Hm hm.«
»Sehr schön, wir können das Interview gleich nach dem nächsten Song machen. Haben Sie vorher noch Fragen?«
Ollie war noch immer nicht in der Verfassung, zu sprechen. Wahrscheinlich hatte ihm der Anblick der Moderatorin einen noch größeren Schock versetzt als mir. Nur so konnte ich mir seinen debilen Gesichtsausdruck erklären. Hoffentlich deutete Steffi Klug ihn nicht falsch.
»Nein, nein«, sagte ich hastig.
Wir hatten die Tür zum Sendestudio erreicht. Steffi bedeutete uns, leise zu sein. Noch lief eine dieser austauschbaren Musiken vom Band. Ein Techniker setzte uns Ohrhörer auf und bugsierte uns vor die Mikrophone. Ehe ich michs versah, säuselte Steffi bereits in ihr Mikro:
»England, wer denkt da nicht an Geister, Golf und Grusel – Grusel, wenn man an das schreckliche Essen denkt. Wir alle haben da schlimme Dinge auf unseren Oberstufenfahrten erlebt. Aber die Engländer haben immerhin auch den Mini erfunden. Wir haben heute einen Gast im Studio. Herr Dickens kommt direkt aus dem nebligen England. Schönes Wetter haben Sie uns da mitgebracht, Herr Dickens.«
»Hm hm.«
»Erklären Sie unseren Hörern doch einmal den Unterschied zwischen dem englischen Wetter und dem Wetter im Teutoburger Wald.«
Ollie sah mich Hilfe suchend an. Er wirkte wie ein waidwunder Rehbock.
»Der Teutoburger Wald und England haben eine ganze Menge gemeinsam«, dozierte ich. »Der gleiche ständig nieselnde Regen, die gleichen sanft geschwungenen Hügel ... Außerdem hat Ollie, ich meine, Herr Dickens, auch schottisches Blut in den Adern. Und somit verbindet ihn doch eine ganze Menge mit den lippischen Ureinwohnern.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich spreche von dem legendären lippischen Geiz. Sie kennen doch den alten Witz: Als ein Schotte und ein Lipper sich um einen Penny stritten, zogen sie so lange an der Münze, bis sie so ganz nebenbei den Draht erfunden haben.«
Niemand lachte.
Und auch der Rest der Sendung war unsäglich. So unsäglich, wie Steffis Sendung stets verlief. Das Niveau lag im Keller, und ein eisernes Tor sorgte dafür, dass es auch da blieb. Den Schlüssel dazu hatte Steffi Klug irgendwann verlegt.
Auch wir konnten die Sendung nicht retten.
Zumal mir Ollie zunehmend mehr Sorgen machte. Außer seinem »hm hm« sagte er kein einziges Wort, was ich offiziell damit begründete, dass er des Deutschen noch nicht perfekt mächtig sei.
Auf der Rückfahrt kamen wir in Richtung Stadtmitte in einen Stau. Das war ungewöhnlich. Ich erinnerte mich nicht, dass ich in Detmold schon einmal einen solchen erlebt hätte. Überhaupt in ganz Ostwestfalen-Lippe nicht. Allenfalls in Bielefeld zur Rushhour in Nähe des Ostwestfalentunnels oder in Lage zum
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